Solidarität mit den von sexualisierter Gewalt betroffenen Genoss:innen in Thüringen!

In den vergangenen zwei Jahren wurden in der radikalen Linken in Thüringen immer wieder Vorfälle sexueller Übergriffe und Gewalt bekannt. Betroffen davon sind Genoss:innen in Strukturen in ganz Thüringen. Im folgenden Statement wollen wir als Thüringer Antifa-Gruppen nicht nur unsere Solidarität mit den betroffenen Genoss:innen ausdrücken, sondern auch deutlich machen, dass es sich um ein strukturelles Problem handelt: Sexistische Strukturen, aus denen heraus die Täter handeln.

Erst im vergangenen Jahr wurden gleich mehrere Fälle sexualisierter Gewalt sowie von sexistischem Verhalten innerhalb der antifaschistischen Struktur in Saalfeld bekannt. Überhaupt kam es erst durch Veröffentlichungen der Betroffenen zu einer Problematisierung. Speziell in Saalfeld, Jena und in Gotha zeigte sich, dass damit ein weiterer Spießrutenlauf für die Betroffenen losgetreten wurde. Die feministische Gruppe „Das schlechte Gewissen“ hat die Vorfälle und Reaktionen chronologisch geordnet und kritisiert das Schweigen, die Handlungslosigkeit und fehlende Solidarität mit den Betroffenen innerhalb der Strukturen. Diese wurden nach ihren öffentlichen Statements unter Druck gesetzt, die zumeist männlichen Genossen der Täter solidarisierten sich mit jenen und sprachen den Betroffenen ihre Erfahrungen ab oder warfen ihnen Spaltung vor.
Die Outcalls, so sehr sie sich im Detail voneinander unterschieden, zeigten das strukturelle Problem in der (Thüringer) Antifa. Insbesondere der Fall in Saalfeld zeigt, dass Täter ihre Machtpositionen und ihr männerbündisches Geklüngel ausnutzten, um Genoss:innen abzuwerten, nach ihrem Belieben in politische Prozesse ein- oder auszuschließen und immer wieder Grenzen zu überschreiten. Auch jetzt werfen die Täter noch mit Dreck um sich. Als Thüringer Antifa-Gruppen und linksradikale Strukturen weisen wir die Vorwürfe der Täter gegenüber den Betroffenen entschieden zurück, solidarisieren uns mit den Betroffenen sexualisierter Gewalt und reflektieren, warum es in der Thüringer Antifa zu sexualisierter Gewalt kommen konnte.

1. Männlichkeit als Ideal

Das Problem sexualisierter Gewalt und Übergriffe innerhalb linker Strukturen ist kein Problem von Einzelpersonen, sondern ein strukturelles. Wesentlich trägt dazu ein bestimmtes Bild von „Antifa“ bei. In diesem Bild geht es vor allem um die Dominanz, Stärke und Wehrhaftigkeit gegenüber Neonazis. Das Bild der antifaschistischen Gegenwehr ist dabei männlich besetzt und spiegelt sich im tatsächlichen Frauenanteil in organisierten Gruppen der Thüringer Antifa wieder. Oftmals werden, bewusst oder unbewusst, Genoss:innen aus bestimmten Bereichen der Praxis ausgeschlossen, ihnen Zugänge systematisch verwehrt oder diese lediglich als Quoten-FLINTA bei Treffen gesehen.

2. Sexualisierte Gewalt als strukturelles Problem

Vor allem Fälle wie in Saalfeld zeigen, dass zumeist männliche Genossen der Zugang zu Strukturen leichter fällt, während junge weibliche Genossinnen entweder ganz ausgeschlossen werden oder nur Zugang erhalten wenn sie die Gunst der lokalen Macker erworben haben. Am Ende stehen die gleichen Typen in der ersten Reihe, sitzen die selben Macker auf den Kontakten und dem Wissen. Ein Informationsaustausch findet nicht statt, während die Genoss:innen wenn dann eher im Hintergrund agieren müssen. Diese Art von Männlichkeit begünstigt sexualisierte Gewalt und mangelndes Interesse der Aufarbeitung. Das sind keine Beobachtungen, die wir nur dem AJUBS oder Gruppen zuschreiben, bei denen in der Vergangenheit Vorfälle öffentlich gemacht worden sind, sondern Formen sexistischer Strukturen die uns, in unterschiedlicher Ausprägung, in unseren eigenen Strukturen begegnet sind und begegnen. Es wäre zu einfach nur mit dem Finger auf eben jene Strukturen zu zeigen, die Täter in ihren Reihen haben. Viel mehr ist es wichtig, dass sich Antifa-Gruppen klar werden, in welchem politischen und sexistischen Klima der Boden für sexualisierte Gewalt geschaffen wird.

3. Reproduktion der Männlichkeitsdominanz im Umgang mit Sexismus und sexualisierter Gewalt

Im Umgang mit Sexismus und sexualisierter Gewalt reproduziert sich die männlichkeitsdominierte Struktur innerhalb der Szene und trägt systematisch zur Begünstigung der Täter bei. Das zeigt sich am Vorwurf der Spaltung ebenso, wie an dem Vorwurf, die Aufarbeitung von Sexismus oder sexualisierter Gewalt behindere antifaschistische Arbeit, welche Seitens der Täter und deren Unterstützer geäußert wurden.

Vorwurf der Spaltung gegenüber den Betroffenen

Der wohl stärkste Vorwurf gegenüber den Betroffenen ist der, dass sie mit ihren Veröffentlichungen die antifaschistischen Strukturen spalten oder einen persönlichen Rachefeldzug gegen die Täter führen würden, ohne vorher mit ihnen geredet zu haben. Bei dieser Täter-Opfer-Umkehr übergehen die Täter und ihre Unterstützer nicht nur die geschilderten Erfahrungen, sondern versuchen so aktiv Antifas gegen die Betroffenen in Stellung zu bringen. Diese vermeintliche Spaltung wird als problematischer bewertet, als dass Betroffene sexualisierter Gewalt von antifaschistischen Veranstaltungen fernbleiben. Als Thüringer Antifa-Gruppen stellen wir klar: Keine Betroffene sexualisierter Gewalt spaltet uns! Viel mehr ist das Gegenteil der Fall: Die Täter, welche ihre Machtposition und ihre Stellung ausnutzen, um Genoss:innen kleinzuhalten, spalten die Strukturen nachhaltig. Die Täter, welche sexualisierte Gewalt ausüben und statt sich einer Aufarbeitung zu stellen, lieber Stimmung gegen Betroffene machen, spalten die Strukturen!

Vorwurf der Behinderung antifaschistische Arbeit

Verbunden mit der Behauptung, die Betroffenen würden Spaltung betreiben, ist der Vorwurf, dass durch eine Aufarbeitung andere politische Praxis, bspw. Antifa-Arbeit, in den Hintergrund geraten. Das offenbart eine Bewertung von gesellschaftlichen Problemlagen und zu führenden Kämpfen, in denen Sexismus keine Rolle spielt. Für uns aber geht der Kampf gegen Neonazis, Rassismus und Antisemitismus mit dem Kampf gegen Sexismus einher; auch in den eigenen Strukturen.

4. Solidarität mit den Betroffen heißt…

… praktische Solidarität mit den Betroffenen

Seine Solidarität mit den Betroffenen auszusprechen, ist ein wichtiger Punkt. Für die konkrete Praxis heißt dies aber auch, dass es keine Zusammenarbeit mehr mit den Tätern und den von ihnen dominierten Strukturen geben darf. Wir ziehen daher die Konsequenz die Zusammenarbeit mit dem ‚Antifaschistischen Jugendbündnis Saalfeld‘ und dem ‚Juwel Gotha‘ bis auf weiteres einzustellen! In beiden Strukturen waren und sind Täter sowie deren Unterstützer aktiv. Eine Aufarbeitung hat im Fall des AJUBS nicht stattgefunden, im Fall des ‚Juwel‘ halten wir die Aufarbeitungsversuche für nicht ausreichend. Weiterhin wird es keine Zusammenarbeit mit Gruppen oder Einzelpersonen geben, die sich hinter die Täter stellen.

… sexistische Strukturen reflektieren und aufarbeiten

Wer es ernst mit der Solidarität meint, hat es mit ein paar schönen Worten und dem Ausschluss der Täter nicht getan. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, wie es in den eigenen Strukturen um die Aufarbeitung patriarchaler Machtpositionen und sexistischen Verhaltens bestellt ist. Wer diese Aufarbeitung scheut, bereitet weiteren Tätern den Weg und schließt Genoss:innen aus dem politischen Handeln systematisch aus. Das bedeutet konkret, dass wir keine Gruppen und andere Strukturen haben wollen, die dauerhaft nur aus Männern bestehen, wir uns mit feministischer Theorie und Praxis auseinandersetzen und unsere eigene Strukturen stetig kritisch hinterfragen.

… und sichere Räume!

Die Täter haben es geschafft sich über lange Zeit politische Räume anzueignen, sei es beim örtlichen Plenum oder den Treffpunkten. Diese Räume nehmen sie sich auch in anderen Städten auf Demonstrationen und Kundgebungen, Konzerten oder Treffen. Durch die Pandemie waren solche Veranstaltungen in den letzten Monaten gar nicht oder nur eingeschränkt möglich. Doch sobalddas wieder möglich ist, liegt es an den Strukturen ihre Solidarität einzulösen. Sorgen wir dafür, dass die Täter aus unseren Räumen und Veranstaltungen konsequent ausgeschlossen werden und Betroffene von unseren Strukturen Solidarität erhalten.

Unterstützer:innen:
Antifaschistische Gruppen Südthüringen
Dissens – Antifaschistische Gruppe Erfurt
Antifaschistische Linke Eisenach