Reihe Besser als Vergessen: Zur Instrumentalisierung von Geschichte/Vergangenheit

Nach Marx lastet die Tradition aller toten Geschlechter wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden. Wie sie das tut ist aber erstmal unklar. Geschichte, ihre Deutung und die Erinnerung an diese sind gesellschaftlich umkämpft, was unter den herrschenden Verhältnissen aber auch immer heißt, dass der Gegenstand den Stempel der Herrschaft bekommt, welcher die Unmenschlichkeit dieser Gesellschaft in sich trägt und doch kaschieren muss. Der Frage, wie wir als Linksradikale mit Geschichte und Erinnerung umgehen ist damit aber nicht beantwortet. Wir versuchen uns ihr in einer Reihe mit den Falken Erfurt zu widmen.


Die Schlussfolgerung aus Auschwitz ist schon lange nicht, mehr Schluss zu machen mit den Verhältnissen (und Deutschen), die dieses Grauen hervorbringen. So diskutiert man heute lieber darüber, vermeintlich “Fremde” AntisemitInnen abzuschieben, als würden sie die Bomben für heutige Pogrome basteln und nicht diejenigen Staaten, zu denen man des Profits und der Stellung in der Weltmachtkonkurrenz wegen freudige Beziehungen unterhält. Das Gedenken an den Nationalsozialismus in der deutschen Gesellschaft hat wenig mehr als die Funktion, dass die mündigen Staatsbürger des Nachfolgestaats des Dritten Reichs sich guten Gewissens geläutert fühlen. Passend zu diesem inhaltslosen und rein moralischen Bezug auf das Menschheitsverbrechen der Moderne per excellence wird die Singularität der Shoah, die vermutlich den meisten ohnehin nie recht einleuchten wollte, durch das Programm einer postkolonialen Linken bestritten. So changiert der deutsche Erinnerungsdiskurs zwischen den inzwischen etablierten staatstragenden Gedenkriten und Lippenbekenntnissen auf der einen und einem vermeintlich progressiven Relativismus auf der anderen Seite. Wenn es noch Überlebende gibt, müssen diese zwischen den geschichtspolitischen Konflikten schauen, wo sie noch bleiben können. Gemeinsam mit den Falken Erfurt wollen wir in einer kleinen Veranstaltungsreihe dieser Problemkonstellation nachspüren.

Zuerst kommt am 24.10. Ingo Elbe zum Thema “Probleme und blinde Flecken postkolonialer Studien” ins [kany], um sich derjenigen Wissenschaftstradition anzunehmen, aus deren Ecke Antisemitismus unter Rassismus subsumiert wird oder die Hamas teilweise als Kämpfer gegen Unterdrückung und Kolonialismus gefeiert wird. Mehr Infos findet ihr auf der Website unserer Genoss:innen.

Am 02.11. folgt der Vortrag “Kritik der Geschichtspolitik”. Dabei geht es grundsätzlich um die Frage, warum das ewige Gefasel von Erinnerungskultur eigentlich immer eine Maskerade der Funktionalisierung der Vergangenheit zur identitären Vergemeinschaftung ist. Dass sich das deutsche Kollektiv und ihr Staat nach dem verdienten Zusammenbruch nun an den von ihr Ermordeten zusammenrotten und erwärmen können, wäre eigentlich schon widerlich genug. Sie steigern es aber noch. Denn die Geschichtspolitik des deutschen Staates zielt nach der eigenen Wiedergutwerdung maßgeblich darauf ab, Handlungsmacht nach Außen und Innen zu gewinnen – gegenüber den “Fremden”, aber auch den Armen und Staaten, die noch nicht die richtige Konsequenz aus dem Nationalsozialismus gezogen haben. Warum dies in der Sache begründet liegt und worin die deutsche Geschichtspolitik besteht, national wie international, soll hierbei Thema sein. Im Anschluss folgt das übliche Donnerstagsprogramm.

Zuletzt folgt am 04.12. mit dem Film “Liza ruft!” das erste Porträt einer jüdischen Partisanin im Zweiten Weltkrieg. Weil Fania damals in einer sowjetischen Partisanengruppe kämpfte, verfolgte sie der Litauische Staat in Folge seiner antikommunistischen Selbstlegitimierung wegen vermeintlicher Kriegsverbrechen. Auf internationalen Druck wurde die Anklage fallen gelassen, mit der Konsequenz, dass sie nun als internationales Aushängeschild herhalten soll….
Mehr unter: https://www.lizaruft.com/

“Probleme und blinde Flecken postkolonialer Studien”- Vortrag mit Ingo Elbe
24.10. 18:00 im kany (Thälmannstraße 26)
“Kritik der Geschichtspolitik – Erinnerungskultur und die Perpetuierung der Barbarei  durch den Triumph des Guten Willens” – Vortrag mit Dissens
02.11. 19:00 im veto (Magdeburger Allee 180)
 “Liza ruft!” Film und Diskussion mit dem Regisseur
 04.12. 19:00 Offene Arbeit (Allerheiligenstraße 9)
Weil wir Geld brauchen und bekanntlich wichtigste demokratische Erziehung leisten wird die Filmvorführung finanziert durch das LAP, dem lokalen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus der Stadt Erfurt.