Redebeiträge zur “30 Jahre antifaschistischer und antirassistischer Ratschlag”-Demo

Am Samstag dem 28.08.2021 zog anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des antifaschistischen und antirassitischen Ratschtschlags Thüringen eine Demonstration mit circa 200 Antifas durch Erfurt. Im Zuge der Demonstration sowie während der abschließenden Open-Air-Kundgebung am Domplatz wurden in diversen Redebeiträgen unterschiedliche Themen beleuchtet, die aktuell für die radikale Linke besondere Relevanz haben. Einen Teil der Redebeiträge könnt ihr bei Radio F.R.E.I. nachhören, den Redebeitrag unserer Gruppe zur Kritik des Islamismus sowie den Redebeitrag eines Genossen zum Nazi-Angriff an der Staatskanzlei im Juli 2020 wollen wir im Folgenden dokumentieren:

Redebeitrag zur Kritik des Islamismus

Liebe Antifaschist:innen,

heute haben wir uns versammelt um das 30-jährige Bestehen des antifaschistischen und antirassistischen Ratschlags Thüringen zu feiern. Dass sich antifaschistische Gruppen oder Bündnisse für ihr langes Bestehen feiern, finden wir zwar einerseits wichtig, denn der Ratschlag ist seit 30 Jahren eine Konstante in der Thüringer Vernetzung und wir freuen uns in Zeiten von social distancing so viele Menschen zu sehen, aber genau so finden wir es befremdlich. Denn letztlich ist das Feiern von antifaschistischen Gruppen auch immer ein Eingeständnis der eigenen politischen Niederlagen, zielt doch die antifaschistische Arbeit, zumindest einiger Gruppen im Ratschlag, auf die Überwindung der bestehenden Verhältnisse ab. Wenn es auch sicher einige andere Käffer im Thüringer Hinterland gibt, die eine antifaschistische Demonstration und ein Open-Air wesentlich nötiger gehabt hätten als Erfurt, nehmen wir die Einladung für einen Redebeitrag gerne an. Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und internationalen Krisen ist zumindest uns überhaupt nicht nach feiern zu mute.

Vor wenigen Wochen beobachteten wir alle ohnmächtig den Durchmarsch der islamistischen Taliban in Afghanistan. Die Bilder der Menschen in Kabul, die sich verzweifelt an Flugzeuge klammerten und lieber den Tod wählten, als ein Leben unter den Islamisten, brannten sich ein. Eine gemeinsame Forderung, über sehr viele politischen Lager hinweg ist und bleibt die Aufnahme der Menschen die fliehen und das bedingungslos und so schnell wie möglich. Wenn auch unterschiedlich begründet, an dieser Mindestforderung hat sich auch heute nichts geändert!
Unabhängig davon hat es die radikale Linke in den letzten Jahren verpasst sich an vielen Stellen dem Kampf gegen den Islamismus als weltweite Bedrohung anzunehmen. Auch jetzt wollen einige aus dem Bereich der antirassistischen Linken vor allem eines nicht wahrhaben, dass die ganze Sache weniger mit dem westlichen Imperialismus als mit dem politischen Islam zu tun hat. Selbst nach dem Durchmarsch des IS in Syrien und Teilen des Iraks, den Anschlägen von Nizza, Paris, Berlin und unzähligen weiteren Städten durch islamistische Mörderbanden, hat sich kaum etwas getan. Warum das so ist und was eine universalistische Kritik des Islam bedeutet, wollen wir im folgenden ausführen.

1. Angst Rassismus Vorschub zu leisten

Seien es islamistische sog. ‘Hassprediger’, ‚Ehrenmorde‘ oder Anschläge wie in diesem Sommer in Würzburg, als ein junger Mann unter „Allahu Akbar“-Rufen drei Frauen ermordete. Nach solchen Themen geht es in der öffentlichen Debatte nicht etwa darum die Ideologie des Islams zu kritisieren oder für Frauenrechte zu streiten, viel mehr setzt eine „Integrationsdebatte“ ein.Diese wird durch identitäre Ab- und Ausgrenzungsmechanismen bestimmt. Menschen mit Migrationshintergrund werden zu einer homogenen kulturalistischen Masse und zum nicht assimilierbaren Fremden erklärt. Während Aktivist:innen und Feminist:innen schon seit Jahren auf die mysogynen Einstellungen in migrantisch-islamischen Communities hinweisen, bekommt diese Arbeit meist gar keine Aufmerksamkeit. Lediglich die groß inszenierten Fälle erhalten die öffentliche Aufmerksamkeit, verbunden mit einer notorischen Abschiebediskussion.
Insbesondere die antirassistische Linke scheut seit Jahren die Auseinandersetzung mit dem Thema Islamismus, aus Angst einem Umschlagen von Ausgrenzung in offenen Rassismus gegen muslimische Menschen Vorschub zu leisten. Leider haben es viele dabei verpasst den Unterschied in Bezug auf antirassistische Positionen und einer notwendigen Kritik des Islamismus zu ziehen und eröffneten somit eine Leerstelle. Die andere Seite wiederum erklärte den Rassismus gegen muslimische Menschen als nicht existent, was auch wir als analytischen Fehler sehen. Dennoch lehnen wir verbrannte Kampfbegriffe des legalistischen Islams, wie „Antimuslimischer Rassismus“ und „Islamophobie“ ab. Beide Begriffe sind von Islamisten zur Abwehr jeglicher Kritik ihrer Ideologie vereinnahmt. Wer sich dieser Kampfbegriffe, speziell dem der „Islamophobie“ bedient, verabschiedet sich außerdem von jeglicher Religionskritik. Schließlich impliziert der Begriff, es sei eine Phobie, also etwas krankhaftes, wenn man gegen die Religion des Islam sei. Eine Behauptung, die religiöse Eiferer schon immer gegen jene ins Feld führten, die vom Glauben an eine Religion abgefallen sind oder es wagten eine Religion zu kritisieren und zu hinterfragen.
Dennoch eine Vereinnahmung zutreffender Kritik am Islam für die Ausgrenzung von muslimischen Migrant:innen ist nicht von der Hand zu weißen. Was uns zum nächsten Punkt führt.

2. Der politische Islam als reaktionäre Ideologie gegen die Moderne

Ersteinmal ist es bezeichnend, dass die Taliban, eine reaktionäre Gruppierung des politischen Islams ein ganzes Land überrennen kann, Frauen unter die Verschleierung zwingt und sexuelle und ethnische Minderheiten verfolgt und hierzulande niemand so recht über ihre Ideologie reden will. Eben jene Ideologie des politischen Islams, welche in Syrien und dem Irak seine Auswüchse bereits gezeigt hat und sich im Terror weltweit als Teil des islamistischen Djihad widerspiegelt.
Die Ideologie des politischen Islams steht für ein totalitäres Bild der Gesellschaft. In dieser werden sämtliche Lebensäußerungen den jeweiligen Interpretationen des Korans untergeordnet. Diese Ideologie bildet dabei ein gesellschaftliches Gegenbild zum säkularen, westlichen Verfassungsstaat und richtet sich gegen die sexuelle und politische Selbstbestimmung der Menschen und somit auch gegen jegliche Möglichkeit eine befreite Gesellschaft jenseits der herrschenden Ordnung zu errichten. Genau dort wo der Islam eben nicht mehr im Privaten eine Rolle spielt, sondern eine politische Ideologie ist, dort wird er zur Bedrohung für alle progressiven gesellschaftlichen Kräfte.
Was das für ein Land wie Afghanistan bedeutet führte Ronya Othmann aktuell in ihrer Kolumne aus: „Zirka 38 Millionen Menschen leben in Afghanistan. Darunter ethnische und religiöse Minderheiten, queere Menschen, Aktivisten, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und internationalen Truppen, die jetzt um ihr Leben fürchten. 19 Millionen Frauen und Mädchen sind mit der Machtübernahme der Taliban Gefangene geworden, ihrer Freiheit und Rechte beraubt. Nichts an der islamistischen Ideologie ist feministisch, emanzipatorisch, nichts antikolonial. Im Gegenteil: Es ist die Kolonialisierung der Frau, ihre Auslöschung im öffentlichen Leben. Die Entrechtung der Frau unter Scharia-Gesetzen vollzieht sich auf vielen Ebenen. Die Burka ist nicht ihr einziges Problem. Eingeschränkte Mobilität, Ausschluss aus Bildung und Gesundheitswesen, soziale Isolation. Dazu kommen drakonische Strafen beim kleinsten Verstoß.“

Die Kritik dieser Ideologie des politischen Islams ist dabei vor folgendem Spannungsfeld der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu sehen. Auf der einen Seite steht die Vereinnahmung der Kritik als kulturalistische Zuschreibung des homogenen Fremden, die migrantische Forderungen nach Staatsbürgerrechten und gesellschaftlicher Teilhabe abwehrt. Auf der anderen Seite steht die Bedrohung durch die reaktionäre Ideologie des politischen Islams für Emanzipation und Freiheit, die es zu demaskieren und zu kritisieren gilt. Ein reflektierter und universalistischer Antirassismus ist in der Lage Islamisten als Teil der Gesellschaft zu begreifen, wie auch Rassist:innen und Antisemit:innen aus der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Die logische Schlussfolgerung daraus ist, Islamisten politisch zu bekämpfen, wie es gleichzeitig möglich ist gegen rassistische Gesetzgebungen und Repressionen gegen alle Migrant:innen zu kämpfen. Es ist kein Widerspruch Islamismus und Antisemitismus in migrantischen Communities zu kritisieren und zu bekämpfen sowie sich gleichzeitig für ein bedingungsloses Bleiberecht einzusetzen. Genau so wenig gilt es Islamisten Zugeständnisse zu machen, sie zu ignorieren, nur weil die kulturalistische Ausgrenzung der deutschen Mehrheitsgesellschaft Fahrt aufnimmt.

Der Demonstrationszug zieht am Bürgeramt vorbei zum Anger (Foto: Lionel C. Bendtner)

3. Faschismus und Islamismus – brothers from another mother

Das Verständnis dafür, warum ausgerechnet deutsche Rassist:innen und Faschistinnen und Faschisten eine ausgeprägte Obsession in Bezug auf den Islam haben, ist von Bedeutung um sich diesem Problem zu nähren. Was den Islamisten die islamische Weltgemeinschaft der ‚Umma‘ ist, ist dem Deutschen die Volksgemeinschaft. Die Islamisten wollen die ‚Ungläubigen‘ von der Welt vertreiben. Die Nazis wollen alles ‚Schädliche‘ aus ihrem ‚Volkskörper‘ entfernen. In beiden Fällen sind es Jüdinnen und Juden, queere Menschen usw.. Sowohl der Islamismus als auch der Faschismus sind Ideologien, die ihren Ursprung in der kapitalistischen Vergesellschaftung und der Überflüssigmachung und Vereinzelung der Menschen haben. Daraus resultiert eine Identitätskrise des Subjektes, welches dazu gezwungen ist seine Arbeitskraft als Ware zu verkaufen, wenn es in dieser Gesellschaft überleben will. Der Rassismus ist genau ein Ausdruck dieser Krise und der Einsicht in die eigene Ersetzbarkeit und der Angst davor als human waste auf der gesellschaftlichen Müllhalde zu landen. Beides bezieht sich aufeinander. Trotz dessen das Neonazis, Rassist:innen und Faschistinnen und Faschisten den Islamisten ihre strikte und regressive Vorstellung von Gesellschaft und die Zugehörigkeit zur islamischen Weltgemeinschaft neiden, so lässt es sich doch hervorragend nach unten auf muslimische Migrant:innen treten um sich selbst zu erhöhen.

4. Der Kampf gegen Islamismus muss universell geführt werden

Angesichts der weitgehenden Machtübernahme der Taliban und der Hoffnungslosigkeit in Afghanistan gilt es mehr denn je sich einer Ideologiekritik des Islamismus anzunehmen und sich dem beschriebenen Spannungsfeld als Herausforderung anzunehmen. Denn Afghanistan bietet nicht nur Potenzial für Islamisten vor Ort, sondern ist Motivation und Antrieb für Islamisten weltweit. Bereits unter der Herrschaft der Taliban bis 2001 war das Land Rückzugsort für islamistische Terrororganisationen. Eine Wiederholung eines solchen Szenario bedeutet in Zukunft auch eine mögliche weitere Gefahr des weltweiten islamistischen Terrors zu verschärfen. Während Rassist:innen bereits jetzt gegen die Aufnahme von Geflüchteten aus Afghanistan aufgrund vermeintlicher Gefahren mobil machen, wird es nicht der letzte Kampf einer emanzipatorischen Linken sein, der sich in diesem Spannungsfeld bewegt. Die antiimperialistischen Märchen, die wieder aufgewärmt werden, sind dabei keine Hilfe. Sie spielen lediglich jenen in die Hände, die den Islamisten Rosen auf den Weg streuen. Denn es ist ein Fakt, dass es die westlichen Truppen waren, die zeitweise ein sichereres Leben für Frauen, sexuelle und religiöse Minderheiten, Demokrat:innen usw. ermöglichten. Nicht die Besatzung Afghanistans war die Katastrophe, sondern ihr Ende! Wer das leugnet, steht auf der Seite der islamistischen Schlächter, die mit ihren Säuberungsaktionen schon begonnen haben.

Wer für Emanzipation, Feminismus und Selbstbestimmung der Menschen kämpft, vereint den Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Islamismus universell.
In diesem Sinne: Für das Leben, Tod dem Islamismus!


Redebeitrag zum Naziangriff an der Staatskanzlei

Das letzte Jahr und auch die letzten Wochen haben uns wieder einmal gezeigt und schmerzlich bewusst gemacht, was das Handeln der Ermittlungsbehörden, der Justiz und der politischen Verantwortlichen besonders kennzeichnet: Verharmlosen, Verschweigen, Versagen. Allein die Nachricht, dass die Staatsanwaltschaft Erfurt bei dem brutalen Angriff vor der Staatskanzlei in Erfurt in der Nacht vom 17. auf den 18. Juli 2020, bei dem einige Menschen verletzt und fast zu Tode getreten wurden, kein rechtes Tatmotiv erkennt oder dieses sogar ausschließt, verwundert kaum noch – wütend macht sie uns trotzdem.

Nach einer Kundgebung auf dem Anger zieht die Demo weiter zur Staatskanzlei (Foto: Lionel C. Bendtner)

In einem Interview gegenüber Radio F.R.E.I. zeigte sich der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Erfurt „enttäuscht und traurig“ darüber, dass sich die Diskussion lediglich auf einer politischen Ebene bewege und nicht anerkannt werde, dass ganze 15 Täter ermittelt wurden.
15 Täter, die durch Videos der brutalen Tat und die vielen auskunftswilligen Betroffenen und Zeug*innen, die trotz ihrer Gewalterfahrungen eine Aussage bei der Polizei machten, festgestellt werden konnten. Und die Ermittlungsbehörden erwarten noch ernsthaft Lob dafür, dass sie das Nötigste ihres Jobs erledigen und dabei völlig außer Acht lassen, dass die Täter vom Übergriff der Staatskanzlei militante, organisierte Neonazis sind, die eine solche Tat nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal begehen. Und dass diese keine Glatzen und Springerstiefel tragen und Naziparolen rufen müssen, um einen rechten Angriff zu begehen.
Justiz und Ermittlungsbehörden weigern sich als Verantwortliche einmal mehr, rechte und rassistische Taten als das zu benennen, was sie sind: Konsequenzen einer menschenverachtenden Ideologie, die Menschen verletzt oder tötet. Wenn das euer Verständnis von eurem Job ist, können wir nur sagen: Kein Applaus für Scheiße!

Wir würden lügen, wenn wir sagen, dass uns das alles überrascht. Und wo keine Erwartungen sind, können diese auch nicht enttäuscht werden. Im November 2020 fand der Gerichtsprozess zum Angriff auf das AJZ Erfurt im Mai 2016 statt. Eine Tat, die über 4 1/2 Jahre zurückliegt – wird nach einem gefühlt endlosen Ermittlungsverfahren mit einem Freispruch und einer Einstellung für die beiden Angeklagten beendet. Zwei Angeklagte – von ursprünglich 10 ermittelten Tätern. Die Staatsanwältin stellt am Ende fest, dass sich die Täter – Zitat – “sicher auf eine bestimmte rechte Art und Weise eingebracht” hätten und dass es “eklig” sei, wenn dieser Angriff tatsächlich etwas mit “links und rechts” zu tun habe.
Der Überfall auf das AJZ war nicht zufällig oder aus einer Laune heraus. Den Tätern war und ist die politische Positionierung des Hauses und seiner Besucher:innen durchaus bewusst und sie griffen nur aus diesem Grund an.

Die Recherchen der Gruppe k56aufdecken zu den organisierten Nazistrukturen des Kollektiv 56, in denen sich die Täter bewegen und Naziparolen, welche beim Angriff gerufen wurden, machen das Tatmotiv für uns noch eindeutiger. Bereits in den Ermittlungen und dem anschließenden Gerichtsverfahren zum Angriff auf das Haus im Mai 2016, zeichnete sich ab, dass scheinbar kein Interesse daran besteht, rechte Angriffe als das zu benennen was sie sind. Aus einem Angriff auf ein linkes Jugendzentrum wird eine “Kneipenschlägerei”. Aus einem brutalen Überfall von zum Teil vorbestraften, bekannten Neonazis auf eine Gruppe junger Menschen vor der Staatskanzlei wird plötzlich eine Massenschlägerei mit “unklarem Motiv”.
Uns zeigt es, dass auf den Staat und die Justiz kein Verlass ist und dass diese kein Interesse daran haben, Nazis als Nazis zu verurteilen. Auch im Falle des Angriffs vor der Staatskanzlei rechnen wir nicht damit, dass die Justiz später auf die Idee kommt, nach einer politischen Tatmotivation zu fragen oder das Verfahren in eine solche Richtung zu lenken.
Am Ende gehen die Täter – wenn es überhaupt zu einem Prozess kommt – mit einem Lächeln aus dem Gerichtssaal. Wie schon unzählige Male zuvor.
Und wie es auch im Falle des Angriffs auf die Kirmesgesellschaft in Ballstädt 2014 zu erwarten war.

Wer immer noch davon ausgeht, es handle sich bei den Fällen verschleppter Verfahren in Erfurt, Ballstädt, Fretterode, Nordhausen, Connewitz u.v.m. noch um Einzelfälle oder punktuelles Versagen der Justiz, der irrt. Deutlicher als es aktuell im Ballstädt-Prozess der Fall ist, kann es der deutsche Staat nicht mehr machen. Insgesamt sieben Jahre nach dem gezielten und brutalen Überfall auf eine Feier der Kirmesgesellschaft des Dorfes, gehen die ersten Neonazis mit einer Einstellung gegen Geldauflagen lachend aus dem Gerichtssaal. Die Staatsanwaltschaft Erfurt hat bereits im Vorfeld Absprachen mit der Verteidigung der Neonazis getroffen und die Deals verhandelt. Während drei der noch Angeklagten aus der Neonazigruppe ‚Turonen‘ wegen Drogen- und Waffenhandel sowie Geldwäsche in Untersuchungshaft sitzen, bietet ihnen die Staatsanwaltschaft Bewährungsstrafen an. Das Gericht zielt auf eine schnelle Abwicklung des Verfahrens und die Betroffenen müssen sieben Jahre nach dem Angriff vor Gericht erneut Aussagen, damit die vermeintlichen Geständnisse der Neonazis überprüft werden können und somit die Deals auch zu Stande kommen können.

Die rassistischen und rechten Kontinuitäten in Erfurt, Thüringen und überall entstehen nicht aus dem Nichts. Sie entstehen da, wo weggeschaut und bagatellisiert wird, wo antifaschistisches Handeln kriminalisiert wird, wo nicht widersprochen wird, wenn sich wieder einmal der rassistische Mob bildet. Die Nichtanerkennung rechter Tatmotive durch Justiz und Staat ist kein neues Phänomen und vor allem kein seltenes – alleine die derzeit mindestens neun Todesopfer rechter Gewalt in Thüringen wurden bis auf eines staatlich nicht anerkannt. Am 25. Januar 2003 wird Hartmut Balzke in der Triftstraße hier in Erfurt von einem Nazi angegriffen und stirbt zwei Tage später im Krankenhaus an den Folgen seiner Kopfverletzungen.Erst 2020 wurde am 12. Februar in Altenburg Mario K. aus einem homofeindlichen Motiv heraus ermordet. Einer der Täter wurde von Freunden und Familie als “Rechtsradikaler” bezeichnet.
Wir erinnern uns aber gleichzeitig an Taten wie Hanau oder Halle.
Oder den Mord an Walter Lübcke, wobei der Mordversuch an Ahmed I. durch den gleichen Täter bis heute keine Aufklärung erfahren hat. 15 Jahre Haft für einen Mord sind das mindeste, der Freispruch im Fall des rassistischen Attentates und der Freispruch des Mitangeklagten Markus H. zeigen wieder einmal den Unwillen des Staates, konsequent gegen Nazis und ihre Unterstützer*innen vorzugehen.

Und das sind nur einige Beispiele von vielen, bei denen Menschen aus rechten, rassistischen und antisemitischen Motiven angegriffen, verletzt oder getötet wurden – und werden. Und doch ist jede*r Einzelne von ihnen zu viel.
Keine Einzelfälle – und auch keine Einzeltäter – wie uns staatliche Behörden und Verantwortliche immer wieder glauben lassen wollen.
Wir weigern uns, diesen Zustand weiter hinzunehmen. Wir wollen uns nicht mehr auf staatliche Behörden verlassen und weigern uns dennoch, diese aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Wo der Staat solche Taten entpolitisiert und damit die Betroffenen alleine lässt, müssen wir uns endlich organisieren und den Neonazistrukturen und rechten Netzwerken das Handwerk legen.

Das heißt auch, keine rassistischen, sexistischen, antisemitischen und sonstige menschenverachtenden Ideologien oder Äußerungen zu dulden! Egal wo! Politik hört nicht am Tresen auf und sie geht auch über Kundgebungen oder schwarze Kacheln in sozialen Medien hinaus. Sie findet nicht nur hier auf der Straße oder in den Parlamenten statt, sondern sie muss immer auch da stattfinden, wo sich menschenverachtende Ideologien niederlassen und ausbreiten. Da, wo sexistische oder rassistische Witze gemacht werden, wo am Stammtisch gehetzt oder mit Nazis angestoßen wird und überall da, wo Rassist*innen eine Bühne bekommen. Genau da müssen Antifaschist*innen aktiv werden. Wir müssen ihnen widersprechen, wir müssen eingreifen, wir müssen rechten, rassistischen und antisemitischen Ideologien immer und überall Widerstand leisten. Auf allen Ebenen und mit allen Mitteln.

Unsere Solidarität gilt dabei allen Betroffenen rechter Gewalt, den Organisationen die Betroffene Unterstützen und allen Antifaschist*innen, die diesem Zustand etwas entgegensetzen wollen. Danke für eure Arbeit und euer Durchhalten!

In Feierlaune sind wird jedoch nicht. Denn der Blick in die Zukunft gibt uns aktuell nicht das Gefühl, dass es einfach wird. Genau deshalb ist es umso wichtiger nicht in eine Starre der Empörung zu verfallen, sondern im Gegensatz zu staatlichen Behörden endlich zu handeln und sich zu organisieren. Statt der Forderung nach einem stärkeren, repressiveren Staat, muss die Forderung nach entschlossenem antifaschistischem Handeln im Vordergrund stehen. Denn wenn der Staat seiner Verantwortung nicht nachkommt, müssen wir es tun.

Also:
Raus aus der kollektiven Ohnmacht, der reinen Empörung, der Resignation!
Es braucht jetzt vor allem entschlossene antifaschistische Praxis einer emanzipatorischen und solidarischen radikalen Linken!
Also rein in die autonome Antifa! Kein Spielraum für Nazischläger!