Emanzipation statt Aufklärungsverrat – Zur Kritik des Islamismus am Beispiel der Ahmadiyya in Erfurt

Im Februar und März 2019 organisierten wir eine Veranstaltungsreihe zur Kritik des Islamismus in Erfurt. Die Veranstaltungen waren mit jeweils 30 – 40 Personen gut besucht. Im Rahmen dieser Reihe organisierten wir selbst einen Vortrag, in dem wir uns mit der Ahmadiyya Muslim Jamaat und dem von ihr vertretenen politischen Islam auseinandersetzen.
Wir möchten im folgenden Text einen gekürzten Auszug aus dem Vortrag veröffentlichen. Danke an den Genossen der Raccoons aus Kassel für Anmerkungen und Kritik.

 

Die Ahmadiyya und der Islam

 

Entgegen der Behauptung, es gäbe einen „politischen Islam“ und folglich einen „unpolitischen Islam“, handelt es sich beim Islam nicht um eine religiöse Marotte, ausgelebt im privaten Hinterzimmern, sondern viel mehr um eine Ideologie. Gerade im Islam sind die Grenzen zwischen Religiösem und Politischem fließend. Sei es durch die Anerkennung Allahs als einziger Gott, sei es die gottgegebene Ungleichheit zwischen Mann und Frau oder der soziale Kontrollapparat der Familie oder Communitys, die mal weniger, mal penibel genau auf eine Einhaltung der islamischen Sitten oder Traditionen pochen, und im „Dhjihad“ die Grundlage sehen, den Islam weiter zu verbreiten. Der Islam hat einen totalitären Herrschaftsanspruch und ist eben kein reines religiöses Glaubensbekenntnis. Die Annahme vom „politischen Islam“ und folglich vom „unpolitischem Islam“ ist reine Augenwischerei und verdeckt die Zusammenhänge zwischen „Alltagsislam“ und der Ideologie.1

 

Als politische Bewegung aufgezogen ist die Ahmadiyya bis heute eine Gemeinde, deren Mitglieder Träger und Trägerinnen dieser islamischen Ideologie sind. Die Missionierung ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Ideologie. Sie wirkt nach außen expansiv, wenn gleich sich selbst die Ahmadiyya vorschreibt, diese Missionierung lediglich durch Verbreitung der ‚Wahrheit‘ durch Wort und Tat zu vollziehen und nicht durch den Zwang mittels Gewalt. Nach innen wird die Gemeinde durch ihre soziale (Selbst-)Kontrolle gemaßregelt. Aus der islamischen Ideologie lassen sich Rollenbilder, Geschlechterbilder, Familie und sozialer Status für das gesellschaftliche Leben ableiten. Konkret umgesetzt bedeutet dies, dass den Frauen ihre sexuelle Selbstbestimmung abgesprochen wird, sich patriarchale Familienmodelle reproduzieren und Frauen im Sinne der islamischen Glaubenslehre unter den Schleier gezwungen werden.2

 

Die Ahamadiyya versteht sich als Reformbewegung des Islams, jedoch interpretiert sie einige praktische Umsetzungen der islamischen Ideologie nur anders, als es z. B. salafistische Gruppen tun. Die dadurch entstandenen Unterschiede sind in ihren Grundlagen nicht zu unterscheiden, im Detail fasst die Ahmadiyya eine durchaus gemäßigte Auslegung ins Auge. Sie vertreten Positionen, die in anderen islamischen Glaubensgemeinschaften anders praktiziert werden. Die Grenzen zeigen sich jedoch in ihrem Bezug auf die islamischen Grundpfeiler und der abgeleiteten Glaubensauslegung. Vor allem versucht die AMJ ihre Auslegungen anders zu verpacken und zu präsentieren. 

 

Wenn Menschen jedoch von klein auf die Möglichkeit genommen wird sich sexuell zu entwickeln, ihnen eine Selbstgeiselung, in Form von religiöser Frömmigkeit statt Konsum, anerzogen wird, die soweit geht, dass das Ablegen des Kopftuches mit der gleichen Scham besetzt ist, wie eine öffentliche Entblößung der Genitalien, dann sind das keine liberalen Ansichten, sondern die gleiche reaktionäre Ideologie, wie sie bei anderen islamistischen Gruppierungen vorliegt. In letzter Konsequenz vertritt die Ahmadiyya eben diese islamische Ideologie.

 

Den wesentlichen Kern macht dabei die Familie aus. Sie dient als soziale Kontrollinstanz und garantiert, neben den propagierten Rollenbildern, die Abschottung der Gemeinschaft, die ständige Selbstkontrolle bis hin zur Selbstgeiselung und der Entsagung der weltlichen Verlockungen. 

 

An dieser Stelle wäre es falsch zu behaupten wir hätten auf der einen Seite die westliche Zivilisation in der es keine konservativen Familienbildern gäbe, das Patriarchat abgeschafft oder Homosexualität nicht verdammt wird, und auf der anderen Seite islamische Welt, in der dies nicht existent ist. Dennoch gibt es hier wesentliche Unterschiede in der Auswirkung und ihrer Entwicklung, die dazu führte, dass familiäre Clan-Strukutren aufgebrochen werden können, weitere Rechte für Homosexuelle, Trans-Personen und letztlich Frauenrechte errungen wurden und geschützt sind. Das hier der Zustand der befreiten Gesellschaft nicht mit erreicht ist, sollte genau so klar sein, wie der Fakt das es das Bestehende immer noch gegen die islamistische/faschistische Barabarei zu verteidigen gilt. Und das beginnt bei der Kritik des Islam, so wie ihn die Ahamadiyya vertritt. Denn der Islam;

 

„Er steht für ein totalitäres Gesellschaftsmodell, das alle Lebensäußerungen der jeweiligen Auslegung des Koran unterordnet und damit in Frontstellung gegen den westlichen, säkularen Verfassungsstaat, gegen die sexuelle und politische Selbstbestimmung und damit gegen jede Bewegung, die die zerstörerische kapitalistische Weltordnung zur sozialistischen Weltgesellschaft revolutionieren will, statt sie ins Mittelalter zurückzuwerfen. Der politische Islam muss als reaktionäre Ideologie demaskiert und kritisiert werden, auch wenn die menschenwürdige Unterbringung und der Kampf gegen Faschisten den antirassistisch Engagierten derzeit andere Prioritäten aufnötigt.“3

 

Und während die bürgerliche Freiheit der westlichen Staaten die Gleichstellung des Individuums – zumindest formal – garantiert, gilt in den Herrschaftsbereichen des Alltagsislam – sei es staatlich oder in den Communities im Westen – das Gegenteil, und das mit dem Islam begründet. 

 

Solidarität mit den säkularen Muslimen und Unterdrückten des Islams

 

Es gibt sehr moderate Muslime, Vertreter eines Euroislams und diejenigen die es mit einer Reform des Islams nicht nur als nettes Lippenbekenntnis halten. Diesen, weitaus marginalisierten Kräften gilt es sich solidarisch zu zeigen, wie auch mit denjenigen, die dem Islam dem Rücken kehren und durch seine Anhänger geächtet und verfolgt werden. Es bedeutet eben auch, dass „Refugees Welcome“ nicht nur dem rassistischen Mob vor Unterkünften gilt, sondern sich auch gegen islamistische Prediger und Bewegungen richten muss, die gezielt in Flüchtlingsunterkünfte drängen und die Geflüchteten missionieren wollen oder die vom Glauben abgefallenen bedrängen, wie es z. B. in Leipzig der Fall war.3 Genau wie es Aufgabe sein muss Clan-Strukturen innerhalb mirgrantischer Communities, sogenannte „Parallelgesellschaften“ usw. zu kritisieren und ihnen die Grundlage zu nehmen. Des Weiteren gilt es sich vollumfänglich mit denen solidarisch zu zeigen, die den Kampf gegen Unterdrückung in den islamischen Ländern noch nicht aufgegeben haben, wie die Frauen der Oppositionsbewegung des Irans, welche sich gegen den Zwang unter den Schleier zur Wehr setzt. Wie es die Genossen des LAK Sisyphos in ihrem Text zur islamischen Verschleierung im März 2019 ausdrückten:
„Emanzipation darf nicht Platzhalter für den Kampf um die Anerkennung der intersektionalen Unterdrückungsformen verkommen, vielmehr muss sie ein universeller Kampf um die Freiheit der Individuen aus Zwangsstrukturen wie Familie und Community sein. Mit dem politischen Islam ist keine Freiheit zu erreichen.“4

 

Ideologiekritik statt Aufklärungsverrat

 

Einer Gemeinde die die Emanzipationsbewegung der Frauen ablehnt, ein konservatives Frauen-, Familien- und Rollenbild reproduziert, deren Imam Homosexualität als Krankheit betitelt und Homosexuelle zum Arzt schicken möchte, sollte eine Solidarität gerade jetzt verwehrt werden, wenn Neonazis an Kraft gewinnen und sich die AfD als einzige islamismuskritische Stimme inszenieren kann. 

 

Es gilt die Angriffe auf die Ahmadiyya zu verurteilen, wie sie in der Vergangenheit ihren Ausdruck in körperlicher Gewalt oder z. B. das Aufstellen von aufgespießten Schweineköpfen auf dem Gelände der Moschee der Fall war. Diese Taten sind als das zu verurteilen was sie sind und keine Auseinandersetzung mit dem Islam. Dennoch ist es etwas anderes, als sich solidarisch mit dieser Gemeinde zu zeigen und sich einer kritischen Auseinandersetzung zu verwehren.

 

Stattdessen bedarf es einer radikalen Kritik der Gesellschaft, die sich sowohl der autoritäre Revolte und dem reaktionären Rollback der Mehrheitsgesellschaft annimmt und damit einhergehend die Auseinandersetzung mit dem Islam nicht als Tabu, ihn nicht als schützenswertes Kulturgut ansieht und ihn als das begreift was er ist, eine Ideologie die der Vorstellung der befreiten Gesellschaft gegenübersteht. Die Genossen der Antifa Suhl/Zella-Mehlis brachten dies bereits 2015, nach den islamistischen Ausschreitungen in der Suhler Flüchtlingsunterkunft und der Hetzjagd auf einen säkularen Muslim, auf den Punkt:

 

„Beide Ideologien, Islamismus und Faschismus, sind mitunter ein Produkt kapitalistischer Vergesellschaftung, der Überflüssigmachung und Vereinzelung großer Teile der Bevölkerung und der daraus resultierenden Identitätskrise politökonomisch konstituierter Subjekte. Unter den rassistischen Biodeutschen macht sich die Angst geltend, sich demnächst selber ins Heer der Mittellosen und Nutzlosen einreihen zu müssen, die kein Sozialstaat und kein Mindestlohn mehr über Wasser hält. Wenn sich die Asylbewerber nicht benehmen, hat man immerhin einen Grund mehr, ihre Ausweisung oder Tötung zu fordern, ohne direkt eingestehen zu müssen, dass man sie eigentlich um mindestens zweierlei beneidet: ein leistungsloses Auskommen und die Gemeinschaft (Umma), die sie selbst dann noch bereit sind zu verteidigen, nachdem sie vor ihren Auswüchsen geflohen waren.“5

 

Letztlich sind die grundlegenden Errungenschaften der westlichen Zivilisation, wie die der Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen, die Verteidigung der Freiheit des Individuum gegen das Kollektiv und die Festsetzung wesentlicher Rechte, die es, als minimal Konsens, gegen jegliche Angriffe von Faschisten oder anderen Feinden des gesellschaftlichen Fortschrittes zu verteidigen. Die Appeasement-Politik gegenüber dem Islam ist als ein solcher Angriff zu verstehen.

 

Wer schweigt stimmt zu“ – Xbeliebige Antifa-Demo

 

Da wo AfD oder Neonazis anfangen gegen eine Gemeinde wie die Ahmadiyya mobil zu machen, gilt es, ihre Auseinandersetzung mit dem Thema, also das was sie als „Islamkritik“ verkaufen, zu dekonstruieren und klar zu stellen, dass es sich dabei bestenfalls um plumpen Populismus handelt. Wer an dieser Stelle meint, man laufe dabei Gefahr einer Diskursverschiebung von rechts auf den Leim zu gehen, hat nicht verstanden, dass eine solche vermeintliche Verschiebung überhaupt erst durch das Schweigen anderer möglich ist. Jedes mal wo sich die AfD den Raum nimmt ein weiteres Tabu über den Islam zu brechen und geschwiegen wird, bereitet man den nächsten öffentlichkeitswirksamen Coupe der AfD indirekt mit vor. Es gilt herauszuarbeiten, dass Muslime für rechte Fremdenfeinde Projektionsfläche ihrer eigenen Sehnsüchte sind. Gleichzeitig muss sich damit befasst werden, ab welchem Punkt eine berechtigte Kritik des Islam im Bezug auf die Auswirkungen in der Gesellschaft in fremdenfeindliche Ressentiments umschlägt. 

 

Statt dies als ersten Schritt zu begreifen, wird lieber über die steigende Einflussnahme des Moscheeverbandes DTIB und seine Zusammenarbeit mit dem türkischen Staat geschwiegen, Ehrenmorde nicht thematisiert und das Kopftuch, wenn es denn zur Sprache kommt, auf das Logo eines Bündnisses gedruckt, was sich selbst als feministisch begreift. Jede Kritik am Islam wird als rassistisch verunglimpft und sich mit Händen und Füßen gegen eine Auseinandersetzung gewehrt, die mehr als überflüssig ist. Dort, wo die europäischen Jüdinnen und Juden einem wachsenden Antisemitismus ausgesetzt sind und der Großteil der Täter antisemitischer Straftaten mittlerweile aus dem muslimisch-migrantischem Milieu kommt, ist es eine zwingende Notwendigkeit das Schweigen zu brechen und sich nicht nur gegen Antisemitismus zu positionieren, wo sich Neonazis oder Deutsche treffen. Statt dies einmal zu tun, solidarisiert man sich lieber, aus blinder Angst vor einem „Rechtsruck“, mit der Ahmadiyya oder hat zu dem Thema weitgehend geschwiegen. Wir halten es für schlichtweg falsch Probleme nicht zu benennen oder weiter mit einem Tabu zu belegen, nur weil sich die AfD oder Neonazis damit beschäftigen. Gerade die Auseinandersetzung mit dem Islam und letztlich hier mit der Ahmadiyya muss geführt werden, will man den vorher genannten nicht das Feld überlassen und wenn man es in letzter Konsequenz ernstmeint, mit einem Antifaschismus, der darauf zielt, nach Marx, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“6
        
        
        
  
5 http://agst.afaction.info/index.php?menu=news&aid=767                 
        
6 Karl Marx S. 385. Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung. in: Karl Marx/ Friedrich Engels – Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 1. Berlin/DDR. 1976. S. 378-391.