Antifa-Demo am 17. Juli in Erfurt: In solidarity we trust – Für einen konsequenten Antifaschismus

Für den 17. Juli 2021 rufen wir anlässlich des Jahrestages des Neonaziangriffs vor der Staatskanzlei in Erfurt zu einer antifaschistischen Demonstration in Erfurt auf. Start ist 14 Uhr am Hirschgarten. Folgend dokumentieren wir den Aufruf sowie das Mobi-Plakat für die Demonstration. Weitere Infos zur Demonstration folgen.

Aufruf

In solidarity we trust – Für einen konsequenten Antifaschismus

Vor einem Jahr, am 18. Juli 2020, überfiel eine Gruppe zum Teil vermummter Neonazis junge Erwachsene vor der Thüringer Staatskanzlei. Sie schlugen und traten auf alle und jede:n ein, den sie zu greifen bekamen. Der Angriff ereignete sich in einer der belebten Straßen der Erfurter Altstadt, auf einem videoüberwachten Platz. Mehrere Menschen mussten im Anschluss mit zum Teil schweren Verletzungen im Krankenhaus behandelt werden. Nur wenige Tage später, in der Nacht zum 1. August, griff eine Gruppe Neonazis im Stadtteil Herrenberg drei junge geflüchtete Menschen aus rassistischem Motiv heraus an. Einer der Betroffenen des rassistischen Angriffs schwebte zeitweise in Lebensgefahr. Im Fall des Angriffs vor der Staatskanzlei gibt es mittlerweile eine Anklageschrift. Die Erfurter Staatsanwaltschaft will trotz nachweislicher Aktivitäten der ermittelten Täter in der Neonaziszene kein politisches Motiv erkennen. Von einer Anklage bezüglich des rassistischen Angriffs im Stadtteil Herrenberg ist dagegen nichts bekannt geworden. Ganz im Gegenteil wurde kurz nach dem brutalen Angriff von Ermittlungen gegen einen der Betroffenen berichtet.

Neonazis greifen an – der Staat hält ihnen den Rücken frei

Einer der Täter vom Angriff vor der Staatskanzlei ist Philippe A. Bereits wegen mehrfachen gewalttätigen Übergriffen rückte er in den Fokus. Philippe A. stand als einer von nur zwei angeklagten Haupttäter vom Angriff auf das ‚Autonome Jugendzentrum‘ (AJZ) Erfurt am 5. Mai 2016 mit einem weiteren Neonazi Ende 2020 vor Gericht. Die Verfahren gegen die restlichen Neonazis, welche am Angriff auf das AJZ beteiligt waren, hatte die Staatsanwaltschaft Erfurt schon im Vorfeld eingestellt. Erst viereinhalb Jahre nach der eigentlichen Tat fand schließlich der Prozess statt. Damit wird deutlich, wie wenig Interesse staatliche Behörden haben, eine solche Tat auzuklären. Philippe A. kam mit einer Einstellung davon, während sein mitangeklagter Kamerad gar freigesprochen wurde. Wenige Monate zuvor war Philippe A. am brutalen Angriff vor der Staatskanzlei in Erfurt beteiligt.
Die Staatsanwaltschaft sieht bis heute keinerlei politische Motivlage in dem Angriff vor der Staatskanzlei und befeuert damit weiter die zuerst von der Polizei verbreitete Darstellung einer unpolitischen ‚Massenschlägerei‘. Auch Regionalmedien übernahmen diese entpolitisierte Darstellung der Polizei. Die Betroffenen und auch Antifaschist:innen wissen, dass es sich dabei um einen gezielten Angriff auf alternative und nicht-rechte Menschen handelte. Dass ausgerechnet Phillipe A. hier einer der Haupttäter ist sowie weitere Neonazis, welche sich u.a. an Angriffen auf das AJZ oder auf den linken Stadtteil Leipzig-Connewitz 2016 beteiligten, interessiert die Staatsanwaltschaft nicht. Die Neonazis müssen dies als klares Signale verstehen, so weiterzumachen wie bisher, während ihnen der Staat willfährig den Rücken frei hält.

Kein Justizproblem – politische Agenda

Wer immer noch davon ausgeht, es handle sich bei den Fällen verschleppter Verfahren in Erfurt, Ballstädt, Fretterode, Nordhausen, Connewitz u.v.m. noch um Einzelfälle oder punktuelles Versagen der Justiz, der irrt. Deutlicher als es aktuell im Ballstädt-Prozess der Fall ist, kann es der deutsche Staat nicht mehr machen. Insgesamt sieben Jahre nach dem gezielten und brutalen Überfall auf eine Feier der Kirmesgesellschaft des Dorfes, gehen die ersten Neonazis mit einer Einstellung gegen Geldauflagen lachend aus dem Gerichtssaal. Die Staatsanwaltschaft Erfurt hat bereits im Vorfeld Absprachen mit der Verteidigung der Neonazis getroffen und die Deals verhandelt. Während drei der noch Angeklagten aus der Neonazigruppe ‚Turonen‘ wegen Drogen- und Waffenhandel sowie Geldwäsche in Untersuchungshaft sitzen, bietet ihnen die Staatsanwaltschaft Bewährungsstrafen an. Das Gericht zielt auf eine schnelle Abwicklung des Verfahrens und die Betroffenen müssen sieben Jahre nach dem Angriff vor Gericht erneut Aussagen, damit die vermeintlichen Geständnisse der Neonazis überprüft werden können und somit die Deals auch zu Stande kommen können.
Egal ob es im Verfahren gegen die ‚Turonen‘, gegen Gruppierungen wie die Erfurter Hooligans vom ‚Jungsturm‘ oder die Angreifer auf das AJZ aus dem ‚Kollektiv 56‘ geht: Die Taten werden entpolitisiert und den Tätern wird signalisiert, dass ihre Taten toleriert werden, wenn diese sich gegen Linke und Migrant:innen richten. Das ist kein Problem der Justiz oder der juristischen Handhabung, sondern politische Agenda. Diese zieht sich durch die Sicherheitsbehörden, durch Staatsanwaltschaften und die Politik. Der einzige Unterschied ist, dass der Staat im Fall Ballstädt nicht nur Linke und Migrant:innen zum Abschuss freigibt, sondern eine ganz normale Dorfgemeinschaft, die mit jedem Jahr nach der Tat mehr und mehr vom Glauben an Rechtsstaatlichkeit und Demokratie abfällt.

Antifaschismus als Staatsräson?

Doch während sich Neonazis weiter prügelnd und mordend auf Geflüchtete, Migrant:innen und Linke stürzten können, ist ‚Antifaschismus‘ schon vor vielen Jahren zur Staatsräson erklärt worden. Auf den ersten Blick eine Widersprüchlichkeit. Doch die Deutschen haben ihre moralische Überlegenheit und die Legitimation ihres staatstragenden Antifaschismus vor allem aus ihrer Aufarbeitung der Vergangenheit gezogen. Der Weltmeister der Gedenkpolitik unterscheidet dabei in einen schlechten und guten Antifaschismus, indem er die stärkt, die das staatliche Gewaltmonopol verteidigen und seine eigene Gesellschaftsordnung reproduzieren. Nicht umsonst fließen Millionen Euro in staatlich geförderte Demokratieprojekte, Institutionen und NGO‘s. Dabei ist dieser alternative Verfassungsschutz nicht etwa dazu da Neonazis und ihre Strukturen nachhaltig zu bekämpfen. Denn das hieße letztlich, eine Einsicht darin, dass diese Gesellschaftsordnung diese Neonazis hervorbringt. Rassismus und Antisemitismus sind nicht als persönliche Verwirrungen oder schlechtes Benehmen zu begreifen, denen mit Sozialer Arbeit und genug ‚bunten Thinktanks‘ beizukommen ist. Es ist vielmehr ein gesellschaftlich bedingtes falsches Bewusstsein, begründet in dieser Gesellschaftsordnung. Rassismus und Antisemitismus sind Ideologien, durch die sich die Träger vor der Einsicht in ihre eigene gesellschaftlich produzierte Überflüssigkeit im Kapitalverhältnis schützen. Wer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt wirklich beikommen will, der zielt auf eine Überwindung dieser Gesellschaftsordnung.

Der Feind steht links

Als radikale Linke und als Antifaschist:innen wissen wir, dass ein Ende der Neonazigewalt nur mit einem Ende der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung einhergehen kann. Für den Staat ist damit auch klar, wo er den Feind verortet. Sein aktives Nicht-Eingreifen oder Zuarbeiten, wenn Neonazis uns nach Leben und Gesundheit trachten, ist ein Punkt. Der andere ist die aktive Kriminalisierung eines konsequenten Antifaschismus, der sich gegen diese Angriffe zur Wehr setzt. Während unsere Genossin Lina seit Ende 2020 in U-Haft sitzt und vor den Bundesgerichtshof in Karlsruhe gezerrt wird, weil hier das Bild einer vermeintlichen linken Terrorgruppe gezeichnet werden soll, sprechen bundesweite Medien nicht von den zahlreichen Angriffen auf Antifaschist:innen durch Eisenacher Neonazis, wie Leon R. oder Kevin N. und ihre Verbindungen zu internationalen rechtsterroristischen Netzwerken. Lieber wird die Stimmung gegen Antifaschist:innen angeheizt und das nicht ausschließlich von AfD oder anderen Faschisten. Es sind ebenso die bürgerlichen Medien, die Parteienlandschaft des demokratisch-antifaschistischen Deutschlands, die sich hier auf Lina und Antifaschist:innen einschießt.

In solidarity we trust

Dieser Kriminalisierung setzen wir nicht nur unsere Solidarität mit Lina und unseren Genoss:innen im Knast entgegen, sondern auch unseren solidarischen Kampf an der Seite aller Betroffenen neonazistischer, rassistischer und antisemitischer Gewalt durch Staat, Neonazis und Rassisten und Antisemiten aus der Mitte der Gesellschaft . Sei es, weil sie bedroht, angegriffen, von Abschiebungen betroffen sind oder kriminalisiert werden. Wir weisen die Heuchelei der Demokrat:innen zurück, die sich als Brandmauer gegen rechts verstehen, aber diese Gesellschaftsordnung reproduzieren, in der neonazistische Gewalt entsteht.

Kommt deshalb am 17. Juli nach Erfurt auf die Straße, um euch solidarisch mit Betroffenen rechter Gewalt zu zeigen und der Kriminalisierung und Hetze gegen Antifaschist:innen ein starkes Zeichen entgegenzusetzen.
Gegen Deutschland und seine Nazis! Freiheit für Lina! Freiheit für alle Antifas! Solidarität mit den Betroffenen rechter Gewalt.

Plakat