Die am 09. November geheuchelte und bedeutungsschwanger betonte Läuterungserzählung, bei der man sich selbst um seinen kulturellen Verlust so beweint wie die erschlagenen Juden erscheinen wahnwitzig in einer Gesellschaft, welche Aiwangers “Flugblattaffäre” als sinnlosen weiteren Beweis seines triefenden Antisemitismus mit steigenden Umfragewerten belohnt. Dieses öffentliche Versöhnungstheater zu kritisieren ist etablierter Bestand linker Kritik. Um so mehr wie ebenjene Gesellschaft in rassistischer Manier, ihren eigenen Antisemitismus allein auf ‘die Anderen’ projiziert. Auf die, die man nicht dazugehören lässt. Die Dominanzgesellschaft, wie auch weiteste Teile der Linken sind sich dennoch in einem einig: Antisemiten, das sind immer nur die anderen. Sei es bei den jährlichen Gedenkprozederen am 9. November, bei dem man an die ermordeten Juden in Europa erinnert, oder beim Urteil über die noch lebenden, im jüdischen Staat. Anstelle einer notwendigen Solidarität klüngelt man in der Linken (lokal wie global) folgerichtig mit dem neuentdeckten revolutionären Subjekt, statt sich einzugestehen, dass weniger Hass auf die Verhältnisse als Antisemitismus und Islamismus handlungsleitend sind.
Aber unter dem Angriff der Hamas auf Israelis leidet nicht nur die israelische Bevölkerung, sondern gerade die Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Sie wird gerade Opfer israelischer Gegenangriffe. Im Wissen darum, dass dies passieren wird, begann die Hamas am 7.10. das größte Pogrom an Juden und Jüdinnen seit dem Nationalsozialismus. Wie schon lange nicht mehr ist jüdisches Leben weltweit nicht sicher. Seitdem leben auch Menschen im Gaza Streifen in permanenter Angst vor israelischen Angriffen.
Vom Leid der Unschuldigen zur eigenen Begriffslosigkeit
Aber nur nachts sind alle Katzen grau. Dass die Hamas Palästinenser:innen auf der Flucht aufhält, während das IDF Evakuierungsbenachrichtigungen verschickt, dass sie ihre militärischen Stellungen in und neben Moscheen, Krankenhäusern, Kindergärten und Schulen aufstellt, zielt darauf ab „den Juden“ die Verantwortung für das unmenschliche Leid dort zuzuschieben. Es ist auch die Folge ihres islamistischen Todeskults. Die Kritik an den echten oder vermeintlichen Menschenrechtsverletzungen der IDF basiert ja immer noch zuletzt darauf, dass man es mit einem demokratischen Staat zu tun hat, von dem man überhaupt (und das zurecht) das Einhalten von internationalem Völkerrecht einfordern kann. Ganz abgesehen von der ohnehin schon sehr fragilen Solidarität und Unterstützung anderer Staaten – auf die Israel gerade mehr denn je angewiesen ist – die erfahrungsgemäß auch schnell wieder entzogen und relativiert werden können, sollte es zu einer Nichteinhaltung solcher Rechte kommen.
Bei der Hamas demgegenüber gibt und kann es hingegen keinerlei Konzessionen an solche humanitären “Befindlichkeiten” geben. Erlösungsantisemitismus und islamistischer Todeskult geben das für alle beteiligten suizidale Programm vor: Die Hamas führt eben keinen antiimperialistischen Befreiungskampf gegen die Besatzung Israels, sie ist kein irgendwie demokratischer Vertreter der palästinensischen Bevölkerung und kämpft auch sicherlich nicht für eine befreite Gesellschaft. Wer das Gegenteil behauptet, verschleiert den eliminatorischen Antisemitismus, auf den sich die Hamas gründet. Dass in den islamistischen Schlächtern der Hamas kein einziger emanzipatorischer Knochen steckt, zeigt sich nicht zuletzt an der Tatsache, dass der Angriff vom 7.10. neben der Auslöschung möglichst vieler jüdischer Leben insbesondere auf explizit patriarchale Gewalt abzielte. Frauen sind diejenigen, die in der Dystopie eines Gottesstaates, der die Hamas nacheifert, nur die Rolle von Unterdrückten und Ausgebeuteten einnehmen, während queere Menschen schon qua existenz gegen ihr Weltbild verstoßen. Die Konsequenz solcher Ideologien sind hinlänglich bekannt.
Zur Notwendigkeit einer Kritik des Islamismus
Ähnlich wie bereits der Nationalsozialismus entstand der Islamismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Antwort auf die Verwerfungen der Moderne. Er bietet eine unterkomplexe Erklärung für das Elend in einer sich durch besondere Komplexität auszeichnenden kapitalistische Welt. Anstatt die Form kapitalistischer Produktion mit ihrer notwendigen Ausbeutung und ihrem Zwang zum Verkauf der eigenen Arbeitskraft als Grund für dieses Leid anzuerkennen, versucht man durch Projektion allen Übels auf “den Juden” die Möglichkeit zu schaffen, konkrete Einzelne zur Verantwortung zu ziehen. Konsequenterweise meint man durch die praktische Vernichtung der Verantwortlichen alles Leid und Übel aus der Welt schaffen zu können. Die Identifikation des prinzipiell Schlechten, das es zu eliminieren gilt, hilft gleichzeitig die identitäre Vergesellschaftung zu bewerkstelligen. Die Frontstellung ist dabei klar: Die schlechthin gute, weil göttlich legitimierte Ummah (die internationale, als einheitlich imaginierte, Gemeinschaft der Muslim:innen) im existentiellen Kampf gegen “den Juden”. Im islamistischen Kalifat als ihr dystopisches Ziel, die vermeintliche Eindeutigkeit der Vormoderne als Sehnsuchtsort, sollen Errungenschaften wie die Menschen- und Frauenrechte die vorallem persönliche Abwehrrechte des Individuums gegenüber dem Zwangskollektiv sind, prinzipiell keinen Platz haben. Wie in der Vergangenheit bereits im islamischen Staat unter dem Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi zu beobachten war, kam es folgerichtig zur völligen Entmenschlichung und Entrechtung von Frauen und queeren Personen, wie auch der Versklavung und Vernichtung von Jezid:innen und Kurd:innen. Eine Linie die sich auch bis zu den jüngsten Angriffen der Türkei auf Rojava zieht und ohne dessen Analyse keine solidarische Politik mit den Befreiungskämpfen im arabischen Raum möglich sein kann. (1)
Diesen Angriff einseitig aus den „Aggressionen“ Israels abzuleiten kommt einer Täter-Opfer-Umkehr gleich, die suggeriert, dass – wie so oft – die Juden sich den Antisemitismus, wenn dann schon selber eingebrockt haben. Zweifellos erfahren Palästinenser:innen unzähliges Leid durch die israelische Siedlungspolitik. Zurückzuführen ist das unter anderem auf eine rassistische Gesellschaft und verschärfend durch die in weiten teilen rechtsradikale Siedlerbewegung. Genauso wie jeder andere bürgerliche Staat, konstituiert sich auch der israelische durch rassistische Ausgrenzung und Homogenitätsbestrebungen. Wer deswegen dem einzigen jüdischen Schutzraum die Solidarität entzieht, misst mit zweierlei Maß. Zweifellos legitimiert sich die konservativ-rechtsradikale Regierungskoalition in Israel durch den Hass auf „die Palästinenser“. Aber wenn man mit nüchternen Augen schaut, was gerade „der palästinensische Widerstand“ sein soll, muss klar sein, weswegen es keine Aussicht auf Frieden geben kann.
Hoffnung radikale Linke?
Nichtsdestotrotz scheint der Hass auf den Westen, allen voran auf die USA, ein Anknüpfungspunkt für viele Linke zu sein, da der Westen in diesen Kreisen gemeinhin als die Speerspitze des globalen Kapitalismus gilt. Aber “Gerade als fetischisierte Form oppositionellen Bewusstseins ist der Antisemitismus besonders gefährlich, weil er der Ausdruck einer Bewegung kleiner Leute gegen die abstrakte Herrschaft ist” wie der marxistische Theoretiker Moishe Postone darlegt. (2) Auch der Antiimperialismus, welchen die palästinensischen “Befreiungsorganisationen” aus schlauen strategischen Gründen für sich reklamieren, ist keineswegs emanzipatorisch. Ihnen gelingt es dadurch aber vorallem gegenüber einem linken und menschlichkeitsbewegten Publikum den eigenen Judenhass zu verschleiern. Das funktioniert deswegen, weil es diese Linken schaffen, den Begriff “Antiimperialismus” völlig entkoppelt von seinen gesellschaftlichen Umständen zu denken, d.h. entkoppelt von den realen Geschehnissen, welche er beschreiben soll. Frei nach dem Motto: Solange Antiimperialismus drauf steht, muss es auch emanzipatorisch zu gehen. Dabei konstruiert der Begriff nach Lenin sowieso erstmals “unterdrückte Völker”, die dann als Bündnispartner gegen die imperialistischen Staaten fungieren sollen. Als müsste nicht jeder Staat “imperialistisch” sein und als ginge es um völkische Kollektivsubjekte und nicht um Klassenstrukturen oder konkret leidende Menschen.
Unter anderem diese begriffliche Verblendung verhindert die Erkenntnis, dass es sich bei dem Massaker am 07.10. nicht um einen legitimen Aufstand gegen ein koloniales Besatzungsregime handelt, sondern schlicht und ergreifend um die Abschlachtung von Jüdinnnen:Juden. Sich an diesen “Linken” abzuarbeiten, mit welchen man offensichtlich nicht einmal den grundlegendsten humanistischen Anspruch teilt, erscheint hoffnungslos.
Aber auch ein anderer Teil der Linken, welcher die Grausamkeiten der Hamas zwar als solche benennt, wird im selben Atemzug nicht müde zu betonen, dass der Angriff der Hamas “nicht in einem Vakuum” passiert sei, sondern nur im Kontext einer israelischen Besatzungpolitik verstanden werden könne. Es reduziert die Hamas oder den hegemonialen palästinensischen Widerstand auf bloße Reaktionen, beinahe Reflexe, spricht ihnen eigene Handlungsmotive ab und ermöglicht dadurch auch das absehen von ihrer islamistischen Ideologie. Diese krude Relativierung eines Progroms in Verbindung mit dem ständigen Hervorheben des “unmenschlichen” Vorgehens der israelischen Armee bei ihrer Operation im Gazastreifen, lässt die Opfer nicht einen Moment einfach Opfer sein.
Die Behauptungen, dass es in Gaza gerade zu einem genozidalen Flächenbombardement durch die IDF komme, sowie zu gezielten Angriffen auf zivile Infrastruktur als solche wie Krankenhäuser und Kindergärten sind schlicht falsch. Dass man ihnen trotzdem Glauben schenkt, zeigt, dass Israel sowie die israelsolidarische Linke den Kampf um eine emanzipatorische Deutung gerade auf ganzer Linie verlieren. Gezielte Auslassungen, wie die Tatsache, dass die Hamas gezielt Terrorinfrastruktur in Krankenhäusern und neben Spielplätzen platziert, genauso wie das unhinterfragte Übernehmen von Hamas-Berichterstattung – die z.B. in die Welt setzen, dass die IDF beim Angriff auf ein Krankenhaus mehrere hundert Menschen tötete, obwohl in Wirklichkeit eine Rakete des islamischen Dschihad den Parkplatz neben diesem Krankenhaus traf – zeichnen das Bild von einem Israel, das gezielt und willentlich Menschenrechtsverletzungen begeht. Die Mär einer zensorischen, unkritischen und bedingungslos israelsolidarischen Presse kann als antisemitisches Wahnbild dadurch natürlich kaum entkräftet werden. Dass durch die israelische Armee Zivilist:innen getötet werden ist wahr und schrecklich. Dass die Hamas genau darauf abzielt, indem sie dieselben Zivilist:innen an der Flucht hindert sowie als menschliche Schutzschilde benutzt ist ebenso Teil der Wahrheit und muss immer wieder hervorgehoben werden.
Wir sagen daher gerade im Gedenken an die betroffenen Menschen in Israel und Palästina:
Free Gaza from Hamas!
Dass dies der IDF gelingt, falls der Gaza-Streifen besetzt wird, ist kaum zu erwarten – realistischer scheint eine weitere Radikalisierung. Einzig zu hoffen ist, dass Palästinser:innen sich gegen ihre islamistischen Unterdrücker durchsetzen können, die ja sogar offen zugeben es ginge ihnen nicht um ein lebenswertes Leben im Gaza-Streifen, sondern um die Entfesselung eines globalen Kriegs gegen “die Juden”. Auf die globale Linke werden die Menschen in Gaza dabei kaum zählen können.
Es hilft auch die widerliche Unterdrückung palästinensischer Symbole in Deutschland kein Stück. Allein der deutsche Staat kann damit von seinem eigenen konsequenten Versagen ablenken: Seine Wirtschaftsbeziehungen zum Iran finanzieren die Raketen der Hamas – und nicht die „fremden“ Antisemiten die man droht abzuschieben. Rassismus hilft nichts gegen Antisemitismus.
Dass Israel existiert und verteidigt wird, ist so lange eine Notwendigkeit, wie es Antisemitismus gibt. Dabei kann er als Staat auch kaum ein mustergültiger edler Leuchtturm der Menschlichkeit sein, zu dem ihn einige Antideutsche zurzeit verklären. Aber dieser Staat ist der einzige Schutzraum für jüdisches Leben auf dieser Welt. Auf dass so etwas wie Auschwitz nie wieder passieren kann.
Für das Leben und gegen den Todeskult der islamistischen Hamas!
Weiteres hierzu:
Things have got to change – Zur Aufgabe einer progressiven Linken nach dem 7.10. von Eklat – Münster