Im Rahmen der “Nächste Ecke Links”-Einführungstage hat die Gruppe Radeln gegen Rechts Erfurt eine antifaschistische Fahrrad-Demonstration durch Erfurt gegen rechte Raumnahme organisiert. Auf der Demonstration hielten wir einen Redebeitrag über die Kontinuitäten rechtsterroristische Strukturen in Thüringen und Erfurt. Wir dokumentieren den Redebeitrag.
Redebeitrag: Willkommen in Thüringen
Das Land Thüringen wirbt mit dem Slogan „Hier hat Zukunft Tradition“. An den Hochschulstandorten der Stadt Erfurt wehen die Fahnen, die für ein „weltoffenes Thüringen“ werben. Die ein oder andere Person auf dieser Demonstration ist vielleicht zum Studium nach Thüringen gezogen, wahrscheinlich aus dem Westen. Während man sich noch vor knapp eineinhalb Monaten drüben vor den Ergebnissen der Landtagswahl gegruselt hat, ist mit knapp 32 % der Stimmen eine protofaschistische Partei die stärkste Kraft im Thüringer Landtag geworden und manifestiert damit eine Deutung des Slogans „Hier hat Zukunft Tradition“ ganz anders, als es sich vielleicht irgendeine schlaue Werbeagentur vor ein paar Jahren gedacht hat. Denn zwischen Ackerland und Mittelgebirgen gibt es eine neonazistische Tradition die seit Jahren einer blühenden Zukunft entgegensteuert.
Rechtsterrorismus made in Thüringen
In Thüringen wuchs in den 90er Jahren die Neonaziszene so rasant, wie die Wirtschaft im Osten im Zuge der Wiedereinverleibung in die BRD den Bach herunterging. Während die Politik auf rassistische Pogrome in Rostock-Lichtenhagen, Hoyerwerden, Mölln und Solingen noch damit beschäftigt war, der Mobstimmung mit Nachsicht zu folgen und faktisch das Recht auf Asyl abzuschaffen, begannen sich Neonazi-Netzwerke in diesem Windschatten weiter zu organisieren. Folgerichtig konnten hier Strukturen wie der „Thüringer Heimatschutz“ wachsen, der über viele Käffer, Klein- und Mittelstädte die Kameraden unter ein organisatorisches Dach brachte. Durchsetzt waren diese Strukturen von Informanten des Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“, der dadurch fleißig Geld in diese Struktur fließen ließ. Einige Jahre später, mit der Selbstenttarnung des rechtsterroristischen Kerntrios des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ wurden Schritt für Schritt Details zu Tage befördert, wie eine neonazistische Szene unter Schirmherrschaft des Verfassungsschutz jahrelang unentdeckt morden und rauben konnte. Angesichts des Ausmaß, der Vernetzung und des Unterstützer:innennetzwerk der Neonazis standen die Behörden, Politik, aber auch der Antifaschismus vor einem großen Scherbenhaufen. Bis auf wenige Ausnahmen, beschränkte sich die juristische und politische Aufarbeitung in Deutschland auf die These des Kerntrios des NSU, während ein weitgefächertes Unterstützer:innennetzwerk kaum angetastet worden ist. Eine Deutung die in den folgenden Jahren an Bedeutung gewann, schließlich galten die rechtsterroristischen Taten von Hanau, Halle, der Mord an Walter Lübcke usw. immer nur als das Werk von Einzeltäter:innen. Der Mörder von Walter Lübcke, Stephan Ernst, nahm btw in Erfurt an mehreren Veranstaltungen der AfD mit Björn Höcke teil.
…made in Erfurt
In den folgenden Jahren schrieb sich diese gute Tradition in Thüringen und Deutschland fort. Es folgten rassistische Stimmungsmachen, Belagerungen von Geflüchtetenunterkünften, Anstieg rechter Straßengewalt und parallel der Aufstieg der AfD. Im Zuge dessen bildeten sich weitere Netzwerke heraus. Sie alle aus den vergangenen Jahren aufzuzählen würde den Rahmen sprengen. Deshalb wollen wir nur einen kurzen Abriss für Erfurt geben.
Im Zuge von AfD-Demonstrationen im Jahr 2015/16 in Erfurt, mit mehreren tausend Teilnehmenden, bildeten militante Neonazis und rechte Hooligans einen nicht unerheblichen Teil dessen. Dies drückte sich zum einen in rechter Straßengewalt aus, führte aber auch mit zur Herausbildung von militanten Strukturen. Die Neonazi-Gruppe „Kollektiv56“ agierte mehrere Jahre, pflegte Kontakte zu rechtsterroristischen Gruppierungen national und international. Einige ihrer Mitglieder fanden sich diverse Male wegen Angriffen auf Migrant:innen, Linke und Treffpunkte wie das AJZ Erfurt auf der Anklagebank wieder. Während ihnen oftmals die Thüringer Justiz mit Milde begegnete und nur in den seltensten Fällen ein politisches Tatmotiv erkennen wollte. Andere Neonazis fanden sich in der Hooligangruppe „Jungsturm“ des FC Rot-Weiß Erfurt zusammen, bis sie schließlich als kriminelle Vereinigung 2021 angeklagt worden sind. Nicht wegen ihrer breiten Vernetzung in rechtsterroristischen und militanten Neonazi-Kreisen, sondern wegen Hooligankämpfen und Überfälle auf verfeindete Fußballfans. Neonazistische Taten und Äußerungen, Hitlergrüße und Hakenkreuzfahnen machen einen im Auge der Thüringer Justiz noch lange nicht zum Neonazi.
…made in Eisenach
Gute Kontakte pflegten beide Gruppierung nach Eisenach, zu den Neonazis, welche irgendwann die Gruppe „Knockout51“ gründeten. Seit einigen Jahren laufen gegen diese Gruppierungen Ermittlungen der Generalbundesanwaltschaft mit dem Vorwurf der Gründung einer kriminellen und rechtsterroristischen Vereinigung, u.a. da die Neonazis das Ziel verfolgten politische Gegner:innen zu töten. Im ersten Verfahren gegen vier Führungsmitglieder der Gruppe, wollte das Thüringer Oberlandesgericht den Vorwurf der terroristischen Vereinigung allerdings nicht erkennen und verurteilte die vier Führungskader lediglich wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und einigen Gewaltdelikten. Dass die Gruppe laut den Ermittlungen plante politische Gegner:innen zu töten ist, in zukunftsträchtiger Thüringer Tradition, ja noch kein von Rechtsterrorismus zu sprechen. Eine weitere Führungsperson und Gründungsmitglied von „Knockout51“ studiert bis vor knapp einem Jahr noch Bauigneurswesen an der Fachhochschule Erfurt. Bereits vor seiner Verhaftung machten antifaschistische Recherchen die Machenschaften des Neonazi Kevin N. sowie sein Studium an der Fachhochschule Erfurt öffentlich aufmerksam. Eine Reaktion der Hochschule, dass ein militanter Neonazi hier studiert blieben aus. Mittlerweile befindet sich der Neonazi seit Dezember 2023 in Untersuchungshaft, die Generalbundesanwaltschaft sieht weiterhin die rechtsterroristische Vereinigung als ausschlaggebend.
Ebenfalls an der Fachhochschule konnte ein rechter Burschi als Tutor in der Forstwirtschaft arbeiten. Aufgedeckt wurde es durch antifaschistische Recherchen. Auch hier hielt die FH die Füße still. Dies lässt sich weiter fortführen über die Jahre hinweg. Darunter zählte der ehemalige NPD-Landesvorsitzende Tobias Kammler, der an Uni Erfurt Staatswissenschaften studierte, oder auch der Blood&Honour Nazi Hendrikje Just aus Weimar, welcher Ende der 90er Jahre an der FH Erfurt studierte. Aber zum Glück hängt hier irgendwo die Fahne für ein „weltoffenes Thüringen“, was auch immer das überhaupt sein soll.
Dass Neonazis in militanten Strukturen eine Gefahr sind, zeigte sich auch an diversen Überfällen auf Linke, Migrant:innen und andere Menschen in Erfurt. Seit Jahren führt die Stadt die Statistik der rechten Angriffe der Beratungsstelle ezra an. Oftmals kommen die Täter mit milden Urteilen davon, während sich Ermittlungsbehörden schwer tun politisch motivierte Tatmotive zu erkennen, wenn sie nicht gleich wie im Fall von „Knockout51“ in Eisenach selbst Teil einer rechtsterroristischen Gruppe sind. Noch immer Laufen Ermittlungen gegen mehrere Polizist:innen, die Verbindungen zur Gruppe haben sollen.
Immer wieder waren es antifaschistische Recherchen, Interventionen und öffentlicher Druck die Akteure in Erfurt, Thüringen und Deutschland entweder zum Handeln zwangen oder selbst Druck auf die Neonazis ausübten. Aber auch das funktioniert nicht über die reine Empörung und die Wut einzelner, sondern über ein organisiertes Nein zu diesen Zuständen. Gerade deshalb braucht es auch den Willen sich zu organisieren in antifaschistischen Zusammenhängen, ansprechbar zu sein und sich auszutauschen. Niemand ist allein mit rechter Gewalt, denn ihre Taten sind immer Botschaftstaten, die Angst machen sollen. Bilder dieses Jahr aus Bautzen und anderen Städten haben gezeigt, dass Neonazis in eine Art Revival der 90er Jahre verfallen, optisch wie inhaltlich. Aber es hat auch gezeigt, dass an vielen Orten einen antifaschistischen CSD gibt, eine Unterstützung von antifaschistischen Kräften für diese Demos vor Ort und das Teile dieser rechten Mobilisierung ins Leere verlaufen. Ob irgendwelche pickligen 16-Jährigen mit Springerstiefeln und Bomberjacken die Zustände der 90er Jahre zurückbringen, ist fraglich. Gefährlich wird es, wenn die AfD, ihr ganzer Anhang und eine solche Mobilisierung zusammenlaufen.
Und wenn wir darauf zurückkommen, dass hier Zukunft eine Tradition hat, dann bleibt der Ausblick schlecht und die Perspektive: Organisiert die antifaschistische Aktion.
Organisiert sie in ansprechbaren verbindlichen Strukturen. Die x-te selbstreferenzielle Wohlfühl-Freundschafts-Bezugsgruppe mit Instagram kann auch in euren westdeutschen Vororten bleiben.