Aller halbe Jahre scheint es in Erfurt zu einem Stelldichein zu kommen, in dessen Rhetorik man von außen den Eindruck bekommen könnte, dass hier entweder die Demokratie in akuter Gefahr sei, denn der Faschismus stehe kurz bevor oder der Untergang des Abendlandes durch die „Altparteien“ droht in verschiedensten Ausführungen. Zuletzt im November 2022, als man alle – und zwar wirklich alle, Autonome neben Innenminister Georg Maier – zusammen gegen Faschismus auf der Straße in Erfurt war. Zwar konnte man der rechten Mobilisierung dabei einen Dämpfer verpassen, verzichtete dafür aber dankbar auf jede eigene inhaltliche Kritik. Anlässlich des bevorstehenden Schauspiels am 29. April 2023 wollen wir zumindest eines vorschlagen. Der neue Schlachtruf auf der Gegendemonstration sollte auch diesmal lauten: Alle zusammen gegen Inhalt und Kritik!
Das „Auf die Plätze“-Bündnis organisiert hier eine Demonstration unter dem Motto „Schluss mit dem Kasperletheater – AfD demaskieren“ gegen den geplanten Aufmarsch der Thüringer AfD am Theaterplatz. Wer demaskiert werden soll, ist damit zwar bestimmt, welche Maske allerdings fallen, was denn darunter liegen und welchen Zweck das haben soll, bleibt das Bündnis den Lesenden entweder schuldig oder man muss mit viel gutem Willen zwischen den acht Zeilen lesen, die dazu veröffentlicht worden sind. Nationalismus und Abschottung werden allein der AfD als Krisenantworten auf Ukrainekrieg und Klimakatastrophe unterstellt. Ein Vorwurf, auf den wir später im Text gerne zurückkommen wollen. Davon abgesehen wird viel mehr die AfD einer politisch-moralischen Denunziation unterzogen, indem man die AfD und Höcke als „Kasperle“ abtut, und der ein „großes Theater“ veranstalten will, damit jeder Vollidiot irgendwann versteht, dass sich die AfD auch wirklich am Theaterplatz trifft. Doch davon abgesehen ist diese politisch-moralische Denunziation vor allem eines nicht, eine Kritik an der AfD. Es ist viel mehr eine Nicht-Kritik, eine Nicht-Befassung mit den eigentlichen Positionen einer protofaschistischen Partei, welche in Umfragen aktuell die stärkste Kraft bei einer Landtagswahl stellen würde. Diese Nicht-Befassung mit den Inhalten der AfD ist ein Ausdruck einer Identifikation als Kritikersatz. Identifiziert werden soll sich dabei dann vorrangig mit den “guten” Demokrat:innen, die durch die Verwaltung des Status Quo die Krise aber maßgeblich zu verantworten haben. Es wird viel mehr angenommen, dass sich die Menschen von der AfD schon abwenden werden, wenn ihnen nur mal jemand ihre ominöse Maske abnehmen würde und zeigt, dass sich gar keine bunten, toleranten und geläuterten Deutschen darunter befinden, sondern eben autoritäre Faschist:innen. Doch muss man in Thüringen niemanden demaskieren, der in der Thüringer AfD ist. Sie machen sich ja selbst keine Mühe irgendeiner Maskierung mehr und tragen ihre Positionen ganz offen nach außen. Gerade wegen und nicht trotz dieser Positionen ist die AfD in Thüringen in Umfragen die stärkste Kraft. Diese Logik verstrickt sich in einen weiteren Widerspruch.
Einerseits sind Höcke und Co. der neue Hitler und die Nazis, aber gleichzeitig alles „Kasperle“, die keine Antworten auf irgendwas haben und generell keine Bedrohung darstellen für das bunte Wir, was ja sowieso schon „mehr“ als die ist. Die Nicht-Kritik muss also mit einem Urteil, einer Abwertung und Denunziation einhergehen.
Jetzt gibt es sicherlich inhaltlich Fataleres als Höcke mit Clown- und Scheiße-Emojis oder falschen Vornamen zu betiteln, außer sich selbst der eigenen Einfalls-, Humor- und Inhaltlosigkeit zu überführen. Es ist viel mehr Symptom dieser Nicht-Kritik, die einen bestimmten (unbewussten) Zweck verfolgt. Denn wenn sich die geläuterten Demokrat:innen der Zivilgesellschaft mit einer wirklichen Kritik des (Proto-)Faschismus befassen würden, auch das politische Programm der AfD einer ernsthaften Kritik unterziehen würden, dann würde ihnen auffallen, dass sich eine solche Kritik auch gegen sie selbst als Demokrat:innen richten muss. Gleichzeitig würde es bedeuten, dass ein Großteil der aktionswütigen Antifaschist:innen, die sich entweder aus irgendeiner organisatorischen Not oder gar aus Bündniswillen diesem Spektakel anschließen, ihre Prioritäten falsch setzen.
Denn wer es mit einer Faschismus-Kritik ernstmeint, erkennt die Grundlagen der parlamentarischen Demokratie in diesem wieder. Der müsste herausarbeiten, dass die demokratische Erziehung der Bürger:innen zu Nationalist:innen eine Grundlage ist, auf der der (Proto-)Faschismus fußt und sich immer wieder transformieren und neu generieren kann. Wenn auch gleich der demokratisch-bürgerlich erzogene Nationalist sich vom Völkischen der AfD abgrenzt, so ist sein Nationalismus eben anders auf die Verwertungslogik innerhalb der kapitalistischen Herrschaft ausgelegt. Der Ausländer wird eben nicht mehr in „arisch“ oder „nicht-arisch“ sortiert, sondern in „verwertbar“ oder „nicht verwertbar“ für die Volkswirtschaft. Diese demokratisch legitimierte bürgerliche Herrschaft erhält eben jenen Status Quo aufrecht, welcher den ideologischen Nährboden für Rassismus und Antisemitismus bietet. Von einigen verwirrten Reichsbürger:innen abgesehen, ist dies auch durchaus in protofaschistischen Diskursen angekommen, in denen sehr wohl erkannt wird, dass sich Deutschland in den letzten Jahrzehnten aus kapitalistisch-imperialer Notwendigkeit zur ter betrieben wird. Genau so wenig braucht es Höcke und Co., damit sich die Demokratie selbst den Weg in den Faschismus in Form von Notstandsgesetzen offenhält, sollte es mal zu einer wirklichen revolutionären Bedrohung für das Bestehende kommen.
Wenn Antifaschist:innen jetzt erklären, es sei aber das „kleinere Übel“, wie sie es ja bei jeder Wahl tun, bei der sie wahrscheinlich doch noch schweren Herzens ihr Kreuz bei der Linkspartei machen, dann ist dies nicht nur eine offene Parteinahme für ein Gesellschaftsmodell der bürgerlichen Herrschaft gegen das andere, sondern zeigt auch offen dass es den „A, Anti, Anticapitalista“s am Ende gar nicht um einen Bruch mit dem Bestehenden geht. Sonst würde man sich auch kaum bereitwillig an irgendwelchen Imagekampagnen der vermeintlich besseren trostlosen Normalität beteiligen. Es geht eben um das „kleinere Übel“ und ein besser verwaltetes “Weiter so”, auch wenn dies die Katastrophe ist, statt einen Streit für die befreite Gesellschaft. Die demokratische Staatsräson wird als das zu verteidigende Übel betrachtet, wenn überhaupt. Denn ob noch von einem „Übel“ gesprochen wird, wenn ein Großteil des Klientels der Anti-AfD Demonstration zwei Tage später den Führungskräften der Gewerkschaften, Sozialverbänden und sozialdemokratischen Parteien am 1. Mai hinterherläuft, bleibt fraglich. Auch den Organisator*innen dieser Demonstration, bei der man die Leiche der Arbeiter:innenschaft einmal pro Jahr durch die Straßen zerrt, geht es darum, dieses Übel etwas sozialverträglicher zu gestalten, innerhalb der bestehenden Herrschaftsform und Ökonomie. Die Schöpfer des Sozialstaates haben diesen nicht etwa aus reiner Menschenliebe umgesetzt, sondern um zu garantieren, dass die Opfer der kapitalistischen Verwertung an dieser nicht vollends vor die Hunde gehen, sondern erhalten und tauglich bleiben.