In der Sommer-Ausgabe der undogmatisch-linken Zeitschrift ‘Lirabelle’ aus Erfurt veröffentlichten wir einen Artikel, in dessen Rahmen wir uns mit den Razzien gegen die Eisenacher Neonazis von “Knockout51” und der Rolle der Generalbundesanwaltschaft – sowohl in diesem als auch im Antifa-Ost-Verfahren – beschäftigten. Die Verhaftungen von Leon Ringl und Co. sind dabei weniger ein Grund zur Freude, sondern eher als Zeichen der Ausweitung von Repression zu sehen, die letztlich auch uns Antifaschist:innen treffen wird. Wir dokumentieren den Artikel.
Am 6. April 2022 kam es bundesweit zu Razzien in der Neonaziszene. Ein Schwerpunkt lag in Eisenach, wo vier Haftbefehle gegen Leon Ringl, Maximilian Andreas, Eric Krempler und Bastian Adam vollstreckt worden sind. Mit der Mitteilung der Generalbundesanwaltschaft (GBA), dass es sich dabei um Ermittlungsmaßnahmen nach §129 StGB u.a. gegen die Gruppe „Knockout51“ aus Eisenach handle, wurde eine der größten Propagandashows der Ermittlungsbehörden seit Jahren gestartet.
Leon Ringl und der „Nazi-Kiez“
Ein zentrales Argument der Bundesanwaltschaft im Vorgehen gegen „Knockout51“ und die Neonazis um Leon Ringl ist deren Versuch einen „Nazi-Kiez“ durch „Kiezstreifen“ auf der Straße in Eisenach zu etablieren. Ringl, Rädelsführer der Nazikampfsportgruppe „Knockout51“, wird zugerechnet dieses Ziel zu verfolgen. Weder „Knockout51“ noch Gestalten wie Ringl sind in einem luftleeren Raum entstanden, welche plötzlich militant versuchen eine rechte Hegemonie auf der Straße zu etablieren. Viel mehr bildet das gesamtgesellschaftliche Klima und die jahrelang aktiven neonazistischen Strukturen in Eisenach gepaart mit kollektiver örtlicher Ignoranz die Ausgangssituation, in welcher Ringl und Co. nur ein Puzzlestück von vielen sind. Dass was nun vom Staat als großer erfolgreicher Schlag gegen militante Neonazis präsentiert wird, entwickelte sich bereits seit vielen Jahren noch bevor Leon Ringl „Atomwaffen Division“ überhaupt buchstabieren hätte können: etablierte neonazistische Straßengewalt, die NPD als kommunalpolitische Konstante und eine von und für die Neonzaiszene entwickelte Infrastruktur. Die GBA bricht mit ihrem erklärten Vorgehen eine Dynamik, welche sich seit den 1990er-Jahren als rechte Kontinuität in Thüringen und speziell Eisenach nachzeichnen lässt, auf eine Gruppe von jungen Neonazis herunter, die nur die Spitze des Eisberges bilden. Erinnern will sich nun niemand mehr an das breite Schweigen über rechte Angriffe in den Jahren 2017/18 durch den ebenfalls bei „Knockout51“ aktiven Neonazi Kevin Noeske. Über den verurteilten Sprengstoffleger Patrick Wieschke und seine jahrelangen Hetzkampagnen gegen Linke und Antifaschist*innen in Thüringen will niemand reden. Antifaschistische Recherchen erschienen bei den AGST von 2020, 2021 (und auch 2022) diese legten bereits die Strukturen und Personen hinter der Gruppenkonstellationen der Eisenacher Neonazis offen. Dass von der Gruppe Gewalttaten und Angriffe ausgingen, ist keine neue Erkenntnis. Dass der Zugriff des Staates in Eisenach genau jetzt erfolgt, lässt sich vor diesem Hintergrund des kontinuierlichen Wegsehens nur als politisch motiviertes, taktisches Manöver deuten.
Die Bundesanwaltschaft testet ihre Grenzen aus
Noch vor wenigen Wochen sagten Leon Ringl und Maximilian Andreas vor dem Dresdner Oberlandesgericht im Antifa-Ost-Verfahren als Zeugen aus. Beide beantworteten hier Fragen zu Strukturen wie „Knockout51“. Meist widerwillig gaben sie Wissen um deren Organisation, Trainingsorte und Mitglieder preis. Auch weitere Neonazis aus Eisenach, welche als Zeugen aussagten, wurden dazu befragt. Auf ein Zeugnisverweigerungsrecht konnten sich die Neonazis dabei nicht berufen, da ihnen kein Ermittlungsverfahren gegen ihre Struktur bekannt war und sie damit nicht als Beschuldigte galten. Mindestens der GBA war dies jedoch bekannt. Auch wenn das Frageverhalten sehr zurückhaltend erschien, dürfte ein langfristiges Strukturermittlungsverfahren seit 2019 innerhalb der GBA kein Geheimnis darstellen, schließlich gab die Behörde selbst in ihrer Pressemitteilung vom 6. April anlässlich der Razzien an, dass ein Strukturermittlungsverfahren seit September 2019 geführt werde. Nachdem Ringl und Co. ihre Aussagen vor Gericht getätigt hatten, was die GBA noch abgewartet hat, greift sie wenige Wochen später zu und will sich und den Staat als Souverän präsentieren. In den von der GBA geführten Verfahren – darunter auch das „Antifa-Ost-Verfahren“ -, wählt die GBA ihre Argumente selektiv aus und legt sie sich entsprechend zurecht: Einmal sind Ringl und Co. schützenswerte Opfer, deren erlittene Platzwunden ein Angriff auf die Grundfeste der Demokratie darstellen sollen und eine Anklage gegen Antifaschist*innen vor dem OLG rechtfertigt (Antifa-Ost-Verfahren) Auf der anderen Seite sind eben diese Neonazis „Staatsfeinde Nr. 1“, die u.a. eine rechte Hegenmonie auf Eisenachs Straßen etabliert hätten. Das Einschreiten der Ermittlungsbehörden, medial garniert mit einem Großaufgebot an grimmig schauenden Polizisten mit Maschinenpistolen, hätten diesen Zustand nun unterbunden. Seit 2019 lief das Verfahren gegen die Eisenacher Neonazigruppe bereits. Die GBA wusste also zum Zeitpunkt der Anklageerhebung in Dresden sehr wohl, wen sie durch Antifaschist*innen gefährdet sah, von der freien demokratischen Meinungsbildung ausgeschlossen zu werden.
Ein Hufeisen ist kein Grund zur Freude
Die Propaganda-Show, anlässlich welcher Generalbundesanwalt Peter Franke selbst vor die Kamera trat, sendet nicht nur eine Message an die militante Neonaziszene. Nachdem sich jahrelang rechtsterroristische Netzwerke wie der NSU durch strukturelle und finanzielle Hilfen aufbauen konnten, waren es antifaschistische Strukturen, die durch Recherechen dazubeitrugen, dass diese Verbindungen in Untersuchungsausschüssen durch wenige engagierte Politiker*innen problematisiert werden konnten. Nun versucht gerade eben jener Staat, sich als die harte Hand zu inszenieren. Auch im Hinblick auf Antifaschist*innen, die sich gegen jene Zusammenhänge seit Jahren zur Wehr setzen, ist diese Razzia ein politischer Angriff. Denn es ist ein Versuch, einen autonomen und militanten antifaschistischen Selbstschutz, der immer die Verstrickungen des Staates in solche Zusammenhänge betont, zu delegitimieren und sie zu verwischen. Dass sich eine neonazistische Gruppierung wie „Knockout51“ etablieren konnte, ist das Ergebnis einer rassistischen und nationalistischen Entwicklung in der Gesellschaft, in Eisenach, Thüringen und Deutschland. Diese bildet überhaupt erst den Nährboden, dass Gestalten wie Ringl auf den Gedanken kommen, so etwas wie einen „Nazi-Kiez“ etablieren zu wollen und realistisch auch zu können. Gerade wo die Argumentation der GBA im Antifa-Ost-Verfahren zusehends bröckelt, ist der Zeitpunkt der Razzien und Festnahmen eine gute Möglichkeit, die eigene politische Existenzberechtigung zu legitimieren. Hilfreiches Instrument dafür ist die sog. Extremismustheorie, welche rechtsterroristische Strukturen auf eine Ebene mit der antifaschistischen Gegenwehr stellt. Der aktuelle Thüringer Verfassungsschutzbericht lässt vermuten, dass die behördlichen Kenntnisse der rechten Strukturen von antifaschistischer Recherche übernommen wurden. Doch antifaschistische Arbeit will keine Unterstützungsleistung für einen Staat sein, sondern Selbstschutz ermöglichen.
Warum uns diese Razzien auf die Füße fallen werden
Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass der Staat und seine Repressionsorgane sich ausprobieren, um die Grenzen ihres Wirkens weiter auszudehnen. Während es erst vor allem kurdische Organisationen waren, welche nach §129b ins Visier genommen worden sind, zerrte man in Sachsen dann neonazistische Gruppen wie „Revolution Chemnitz“ oder „Gruppe Freital“ vor das OLG Dresden. Es folgten in den weiteren Jahren Ermittlungsverfahren im gesamten Bundesgebiet gegen linke Gruppen (Stuttgart, Hamburg, Berlin-Athen, Frankfurt), deren Höhepunkt das Antifa-Ost-Verfahren bildet, welches von der GBA vom Hubschrauberflug nach Karlsruhe bis zur Anklage groß inszeniert wird. Das Vorgehen in Bezug auf die Razzien vom 6. April ist in dieser Kontinuität zu betrachten. Die GBA handelt vor allem als politische Akteurin. Dieselben Spielchen mit „Knockout51“ und das Gerede von einem „Nazi-Kiez“ treffen dabei auch immer irgendwann uns und unsere Strukturen. Die Unterschiedlichkeit zwischen neonazistischem Terror und antifaschistischer Militanz hinsichtlich der Wahl von Mitteln und Zielen verschwindet im öffentlichen Diskurs hinter einer kategorischen Ablehung von „Gewalt“, ohne je einen wirklichen Begriff von dieser zu entwickeln oder zu hinterfragen, woher diese Gewalt ursprünglich entstammt.
Im Detail bleibt abzuwarten, welche Punkte die GBA am Ende fokussiert und wie in die Begründung der Verurteilung einfließt in der Be- und Verurteilung argumentiert, aber die „Etablierung eines ‚Nazi-Kiez‘“ kann schnell umgemünzt werden auf andere Zusammenhänge als „kriminelle Vereinigung“. Ob die Etablierung eines „Antifa-Kiez“ dabei irgendwann die nächste Welle der politisch-motivierten Sachbeschädigungen an Wohnungstüren von Antifaschist*innen in Connewitz durch Polizisten mit Durchsuchungsbefehlen, bleibt abzuwarten. Die Kontinuität der Ermittlungen und dem Willen der GBA sich ihre Argumente selektiv aus unterschiedlichen Verfahren zusammenzusuchen, lassen allerdings keinen guten Ausblick zu.
Auf der landespolitischen Ebene droht bereits ein weiterer Angriff auf antifaschistische Strukturen. Denn die parlamentarische Anti-Antifa macht mobil. Kontinuierlich leistet beispielsweise Raymond Walk als Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion Beiträge zur Inszenierung der Extremismustheorie. Zuletzt wies er auf den von ihm eingerichteten „ACAB-Melder“ hin. Die „Schmierereien“ stellt er neben eindeutig linke Tags und Parolen. Walk ist aktuell Vorsitzender des von AfD, CDU und FDP eingerichteteten Untersuchungsausschuss zu „Politischer Gewalt“. Erklärtes Ziel ist es u.a. Erkenntnisse zu „linksextremistische Strukturen“ in Thüringen zu gewinnen. Die Parallelität der geführten Verfahren von Antifa-Ost und dem Verfahren gegen „Knockout51“ trägt zur großen Show zur Fertigstellung des „Thüringer Hufeisens“ bei.
Einmal mehr bleibt es notwendig einen autonomen und militanten Antifaschismus auf allen Ebenen zu verteidigen und nicht in das Propaganda-Spiel der GBA, des Verfassungsschutzes oder sonstiger staatlicher Institutionen hereinzufallen. Nazis gehören nicht in den Knast – ihnen gehört auf‘s Maul!