„Hauptsache Erfurt glänzt“ – Deutsches Gedenken zum 8. Mai

Für den 8./9. Mai rufen Erfurter Kulturakteure zur Aktion „Gold statt braun“ auf. Organisiert wird dies, neben den lokalen Initiatoren, von der Berliner-Kampagne „DIEVIELEN“. Wir haben uns den Aufruf näher angeschaut und formuliert, warum ein solches Erinnern an den 8. Mai 1945 für Antifaschisten problematisch ist.

Mit Rettungsdecken, wie sie schon bei Demonstrationen von „Unteilbar“ als Fahnen getragen wurden, oder als Transparente („Glänzen statt ausgrenzen“), soll ein goldenes Band durch die Erfurter Innenstadt gezogen werden. An der Aktion wollen sich verschiedene Kluturinitiativen beteiligen. So sollen Hausfassaden, Fenster usw. ausgeschmückt werden. In den paar Zeilen sowie einem Radio-Interview lassen die Veranstalter verlautbaren, man wolle der Befreiung vor 75 Jahren gedenken und für eine demokratische Gesellschaft einstehen. Letztlich ist die Hauptsache “Erfurt glänzt“. Sowohl das Motto, ein Erinnern an die den Jahrestag der Befreiung, als auch der unsägliche Standortfokus der Aktion, sollten Grund genug sein die Sache genauer zu betrachten.

Was heißt erinnern? – ein kurzer Abriss

Die Erinnerung verbindet Teile der Vergangenheit mit der Gegenwart. Erinnern ist sowohl an etwas Positives, als auch an etwas Negatives möglich. Somit ist ein neutrales oder objektives Gedenken nicht möglich. Ein Erinnern an Teile der Vergangenheit findet immer selektiv statt. Aus dieser Selektion wird sich die Geschichte angeeignet, wobei sich durch sie immer auch Veränderungen ergeben und die Geschichte immer wieder neu verhandelt werden kann. Die Selektion, wie und an was erinnert wird, ist dabei immer auch ein Spiegel der Gegenwart. Es zeigt ihren Zustand, in der Form des Erinnerns. Eben jene Erinnerung wird zu einer wichtigen Identitätsstiftung für das nationale Kollektiv in der Moderne. Dieses geschaffene Selbstbild ist somit der Kern des kollektiven Gedenkens. Mittels der Erinnerungs- und Gedenkpraxis eines Kollektives drückt sich das eigene Selbstverständnis aus.
Da sich diese Erinnerung meist auf positive Traditionen bezieht, aber zur Shoah kein offener positiver Bezug im Nachkriegsdeutschland ziehen konnte, kommt es zu einem Widerspruch in der deutschen Gedenkpolitik.

Plakat der Aktion in Erfurt

Plakat der Aktion in Erfurt


Gedenken an den 8. Mai

Durch die Erinnerung an die Befreiung am 8. Mai 1945 und die militärische Niederschlagung des nationalsozialistischen Deutschlands, wird dieses Erinnern in die eigene Identitätsbildung mit eingeschlossen.
Mittels der Zwangs-Demokratisierung Deutschlands unter den Aliierten wurde der Nationalsozialismus zwar auf administrativer Ebene abgelöst, jedoch keineswegs überwunden. Stattdessen war ein personelles und ideologisches Fortbestehen des Nationalsozialismus der Demokratie inhärent. Obwohl der Nationalsozialismus in diesem Sinne nicht überwunden wurde, ist er gleichzeitig als ein Gegenbild konstruiert worden, um die deutsche Demokratie davon abzusetzen. Da gerade die deutsche Ideologie bereits weit vor der Gründung eines deutschen Staates eng mit dem Antisemitismus verwoben war, musste der offene Bezug zur deutschen Nation nach 1945 andere Wege finden. Mittels der Ahndung des offenen Antisemitismus durch die Aliierten entwickelte sich der sekundäre Antisemitismus, also der Antisemitismus nach und wegen Auschwitz.
Damit geht die Widersprüchlichkeit der deutschen Gedenkpolitik einher die Shoah in die eigene kollektive Identität einzufügen. Gerade der Wandel der deutschen Gedenkpolitik seit 1945 macht die Transformation des Umgangs mit diesem Widerspruch deutlich. Kurz heruntergerissen, entwickelte sich Deutschland von der Schuldabwehr und -leugnung zum Bewältigungsweltmeister, der moralische Legitimation für politisches Handeln in seiner Aufarbeitung sieht. So kann es dann auch sein, dass ein militärischer Auslandseinsatz mit einem „Nie wieder“ gerechtfertigt werden kann.
Die Befreiung 1945 wird als Kontinuitätsbruch verstanden. An diesem Punkt bedarf es einer Neuorientierung der deutschen Erinnerung für die eigene Identität als Deutsche. Dieser Bruch ist die neue Grundlage für die historische Zugehörigkeit und die neue Handlungsfähigkeit des deutschen Kollektives.


Deutsche Gedenkkultur 2020

Gerade das Erinnern, welches in Erfurt stattfinden soll, steht in dieser Tradition. Die Aktion „Gold statt braun“ und für eine Stärkung der Demokratie, steht für ein Erinnern, in dem die Verbrechen des Nationalsozialismus von der eigenen Identität als Deutsche abgegeben werden. Die Demokratie wird als neue, davon entkoppelte Gesellschaft gebildet. Die postnazistische Kontinuität in Deutschland wird ausgeblendet und über die gesellschaftlichen Ursachen, die in die deutschen Barbarei führten, wird geschwiegen. So kommt es dann auch, dass es die Initiatoren schaffen, im Aufruf zu ihrer Aktion, elementare Begrifflichkeiten auszublenden. Denn weder die Shoah noch der Nationalsozialismus spielen eine Rolle. In einem solchen Erinnern verkommt die Befreiung zu einem Punkt der Identitätsstiftung für das geläuterte Deutschland.

Sie haben wirklich Tocotronic da mit reingezogen.

Sie haben wirklich Tocotronic da mit reingezogen.

Die guten Deutschen – Die bösen Nazis

Wenn Initiativen wie Unteilbar, #wirsindmehr oder DIEVIELEN auftreten, repräsentieren diese den bunten und hellen Teil Deutschlands. Ihnen gegenüber steht spätestens seit den Ausschreitungen vor Geflüchtetenunterkünften in den Jahren 2015/16 der Mob der bösen Nazis aus Dunkeldeutschland. Dabei bildet die Existenz der Letzteren die Grundlage für die moralische Überlegenheit der Erstgenannten. Während sich Aktionen wie Unteilbar und #wirsindmehr vor allem auf aktuelle Ereignisse bezogen sind, gliedert sich die Erfurter Aktion erinnerungspolitisch mit ein.
Mit der uneingeordneten Begrifflichkeit der „Befreiung“ drückt sich eine Umdeutung des Begriffes aus. Denn es geht den Organisatoren nicht um die Befreiung der gefolterten und geknechteten Gefangenen in den Vernichtungs- und Arbeitslagern, sondern um die Befreiung von der deutschen Schuld. Stattdessen kann sich ohne Probleme auf die demokratische und geläuterte deutsche Gemeinschaft bezogen werden. In eben jener Logik wird getrennt, zwischen den guten Deutschen und den bösen Nazis. Die Abgrenzung „Gold statt braun“ ist ein weiterer Ausdruck dessen.

Erfurt soll glänzen

Da sich das gemeinschaftliche Erlebnis in Erfurt auch für den Kulturstandort nutzen lässt, lassen sich die Initiatoren dazu hinreißen, dass die Form des Erinnerns eigentlich herzlich egal ist. „Hauptsache Erfurt glänzt“, heißt es im Aufruf zur Aktion. Weder eine Auseinandersetzung mit dem 8. Mai 1945, noch eine kritische Reflexion sind von Bedeutung. Es geht viel mehr um den guten Ruf der Stadt und die Lobbyarbeit der Erfurter Kulturschaffendend. Mit ihrer Aktion schlagen sie gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Es wird nicht nur dem eigenen Streben nach einem Kollektiv Ausdruck verliehen, sondern auch Reichweite generiert, die auf den Teil der Stadtgesellschaft zugeschnitten ist, welcher sich gerne als links-grüne Mehrheit inszeniert. Das Gefühl der moralischen Überlegenheit und sich als gute Deutsche zu fühlen, gibt es obendrauf.

Wie kann ein Gedenken aussehen?

Ein Gedenken, was sich diesem Prozedere entzieht, muss darauf abzielen die Shoah als notwendig unabgegolten und unabgeltbar herauszustellen. Dies gilt es in den Mittelpunkt zu rücken.
In einer Erinnerung an die Befreiung ist keine Befreiung der Deutschen gemeint. Es muss klargestellt werden, dass es eine Befreiung Europas vom nationalsozialistischen Deutschland war und nicht zuletzt die Befreiung der Überlebenden der Konzentrationslager. Es gilt dem deutschen Geschichtsbild zu widersprechen, die Schuldabwehr und -verleugnung zurückzuweisen, an deren Ende das Vergessen von Auschwitz steht.
An allererster Stelle muss ein Gedenken stehen, welches das Fortleben des Nationalsozialismus in Deutschland problematisiert und auf die Transformation der deutschen Gedenkpolitik hinweist, deren Ziel eine Identitätstiftung für das deutsche Kollektiv darstellt.

Lesenswerte Texte zur Kritik deutscher Gedenkpolitik:

“Zur Kritik deutscher Vergangenheitsbewältigung”, erschienen in Alerta-Südthüringen Nr. 5

Broschüre “Volkstrauertag abschaffen!”

Kritik deutscher Gedenkpolitik – Gruppe Divergenz

“Befreiung von den Deutschen” von Alex Feuerherdt

Geisel, Eike: Die Wiedergutwerdung der Deutschen – Essays und Polemiken

Stephan Grigat: Postnazismus revisited – Das Nachleben des Nationalsozialismus im 21. Jahrhundert