“Erfurt leuchtet” zum 80. Jahrestag der Novemberpogrome

Für den 08. November rufen einige Menschen unter dem Namen „Erfurt leuchtet“ zu einer Demonstration in Erfurt auf. Ihr Ziel ist es dabei für eine „solidarische Gesellschaft“ in der Stadt einzustehen. Das es nicht nur geschichtsvergessen ist, am Vorabend der Reichspogromnacht, ein solches Motto zu wählen, sondern grundlegende Aussagen der Initiative zwischen falschen Annahmen und inhaltslosen Phrasen schwanken, soll im Folgenden dargelegt werden.

Erfurt leuchtet – Erfurt brannte
In den Nächten zwischen dem 07. und 13. November 1938 wurden im Deutschen Reich Jüdinnen und Juden attackiert, ermordet und in den Suizid getrieben, ihre Gebetsstuben zerstört, Synagogen abgebrannt. Die Nacht vom 09. zum 10. November gipfelte dabei in den Höhepunkt mit der Reichspogromnacht, in der in Erfurt die Synagoge am heutigen Juri-Gagarin-Ring von den Nationalsozialisten niedergebrannt wurde. Über 800 Jüdinnen und Juden wurden in den folgenden Jahren aus Erfurt in Konzentrationslager deportiert. In diesem Jahr jähren sich die Ereignisse zum 80. mal.

Über diese Geschehnisse verliert die Initiative „Erfurt leuchtet“ bislang kein Wort in ihren Pressedarstellungen oder in ihrem Aufruf. Selbst der Anlass des 80. Jahrestages gibt den Organisatoren keinen Anlass. Lieber bezieht man sich auf die nicht abgebrannten Gotteshäuser der Gegenwart: „Und stellst du Dir eine junge und lebendige Stadt vor, in der man feiern kann, es Raum für neue Kulturinitiativen gibt, aber auch Gotteshäuser aller Religionen ihren Platz finden? Wir haben da etwas für Dich!“. In diesem Vergleich und der Nichterwähnung findet die Singularität des Holocaust und die Zerstörung der Synagoge in der lästigen Vergangenheit keinen Platz. Zum einen wird es für sie selbst gar keine Rolle mehr spielen, schließlich geht es ja jetzt darum „Erfurt zu einem besseren Ort zu machen“, die Erinnerung an die deutschen Verbrechen an den Juden wäre dabei nur ein Klotz am Bein derjenigen die am 08. November mit Lichterketten zur Musik tanzen wollen. Wen juckt bei all der guten Laune noch ein abgebranntes „Gotteshaus“ von vor 80 Jahren?

Mittlerweile bewirbt „Erfurt leuchtet“ einen Stadtrundgang zum Gedenken an den 80. Jahrestag der Reichspogromnacht. Das ihr Motto dabei irgendwie unpassend ist, auf diesen Gedanken kommt man freilich nicht.

Engagiert solidarische Verblödung
Beim Lesen des „Aufrufes“ zur Demonstration zeigt sich, wie gekonnt sich die Organisatoren um jegliche inhaltliche Auseinandersetzung drücken. Als Resultat finden sich Sätze wie: „Wir alle wissen, dass es in Deutschland Herausforderungen gibt.“, ohne eine Kontextualisierung was genau gemeint sein könnte. Stattdessen versuchen es die Autoren allen möglichen Leuten Recht zu machen, statt sich an einer vernünftigen Kritik zu üben, sei es an der Stadtpolitik, Rassismus oder einer Religionskritik. Lieber feiert man eine vermeintliche Vielfalt an „Gotteshäusern“, die hier ihren Platz finden sollen. Das Geschriebene über eine „solidarische Gesellschaft“ kommt ebenfalls nicht über ein paar Phrasen und der Aussage, die Veränderung beginne bei jedem selbst hinaus. Gesellschaftliche Verhältnisse interessieren nicht, so lange man mit wohligem Gefühl auf der Straße tanzen gehen kann. Selbst das größte Warnsignal für die eigene inhaltliche Irrelevanz, wenn die Thüringer Allgemeine einen ganzen Artikel dazu schreiben kann, scheinen selbst einige aufrufende Genossen übersehen zu haben.
Der Satz “Lasst uns zusammen laut und hell für eine solidarische Gesellschaft – hier in Erfurt einstehen.” verfehlt ebenfalls die Realität, wenn im selben Atemzug kritiklos Gottesthäuser abgefeiert werden.Schließlich stehen eben jene auch immer wieder für Ausgrenzung, Rassismus, Homophobie usw. Noch im Jahr 2017 feierten Christen im Rahmen der 500 Jahre Reformation-Veranstaltungen, Martin Luther. Einen Antisemiten und Vordenker der Nazis. Auch der Homosexualität und der Rolle der Frau stehen die Gotteshäuser in den meisten Fällen sehr rückständig gegenüber. So forderte zum Beispiel ein Imam der Ahmadiyya-Gemeinde im bayerischen Neufahrn etwa, Homosexuelle “zu einem Experten zur Heilung [zu] schicken”, denn Homosexualität sei eine Krankheit. (klick) Die Ahmadiyya-Gemeinde ist auch die selbe, welche gerade in Erfurt-Marbach eine Moschee bauen lässt. 

Doch in einem Punkt müssen wir dem Aufruf von „Erfurt leuchtet“ zustimmen, wenn es über die Vorstellung der Stadt heißt: „In der man offen mit Menschen auf der Straße über unterschiedliche Ansichten kommunizieren kann und auch streiten darf, aber am Ende immer andere Meinungen respektiert werden.“. Gerne kommunizieren wir unsere unterschiedlichen Ansichten und gerne streiten wir mit euch. Doch da hört es auch schon wieder auf. Denn nicht jeder Schwachsinn, den aufstrebende Hipster-Studenten, „Kulturschaffende“ und andere Leuchten, als Meinung verkaufen, muss auch respektiert werden. Viel mehr gehört er ihrer objektiven Falschheit überführt. Zur Kategorie der Meinung schrieb Adorno:„Die Kategorie der Meinung selbst aber, als eine objektive Stufe des Geistes, ist gepanzert gegen […] Reflexion. […] Wer eine Meinung hat über eine Frage, die einigermaßen offen ist, nicht vorentschieden; deren Beantwortung nicht ebenso leicht sich überprüfen läßt wie die Anzahl der Stockwerke eines Gebäudes, neigt dazu, sich in diese Meinung festzumachen oder […] sie affektiv zu besetzen. […] Sie beruht auf Narzißmus […]. Was einer für eine Meinung hat, wird als sein Besitz zu einem Bestandsstück seiner Person, und was die Meinung entkräftet, wird vom Unbewußten und Vorbewußten registriert, als werde ihm selber geschadet.” (Theodor W. Adorno: Eingriffe. Neun kritische Modelle, S. 150)
Statt um den 80. Jahrestag der Reichspogromnacht feiernd und „leuchtend“ durch Erfurt zu ziehen, rufen wir lieber dazu auf an einem würdigen Gedenken an die verfolgten und ermordeten Jüdinnen und Juden teilzunehmen. Eine Möglichkeit gibt es am 09. November 2018 um 17 Uhr an der Neuen Synagoge in Erfurt. Dort startet ein Stadtrundgang der Gruppe „Erfurt im NS“, anlässlich der Reichspogromnacht.