Die Art und Weise wie im Erfurter Norden auf die eher verzweifelte Straßengewalt rund um die mittlerweile so gut wie aufgelöste Neue Stärke Erfurt reagiert wurde, scheint uns kaum Startpunkt einer vernünftigen antifaschistischen Praxis gegen die Trauergestalten zu sein. Vielmehr zeigte sich größtenteils ein selbstbezügliches Bedürfnis nach einer Imagekampagne zur eigenen moralischen Aufwertung. Wir dokumentieren daher unsere Kritik in Form einer Rede beim HnK-Fest
Leicht veränderte Rede beim Hood-not-Kiez Fest:
Konsequenter Antifaschismus, statt kollektivem schulterklopfen
“Sie haben es doch tatsächlich mal wieder gewagt. In diesem Sommer war eine Gruppe Neonazis in Ilversgehofen unterwegs und fokussierte sich dabei vor allem auf das AJZ Erfurt.
Dies ging mit allem einher, was von Faschos jeglicher Coleur eben erwartbar ist: Gewalttätige Übergriffe, Einschüchterung, antisemitische und rassistische Parolen, Gewaltaufrufe und Nazipropaganda, um ein allgemeines Unsicherheitsgefühl für alle zu schaffen, die nicht in ihr Zigarettenschachtelweltbild passen. Die Reaktionen in der selbsternannten Hood, die – warum auch immer – kein Kiez sein will, obwohl beide Begriffe eine gleichermaßen realitätsferne Zuschreibung sind, waren empört. Irgendwann fand sich dann auch die versammelte Zivilgesellschaft zu einer Veranstaltung ein. “Nicht in meiner Hood – Nazis raus aus Ilversgehofen” hieß es da. Was Nazis jetzt in der Andreasvorstadt, am Herrenberg oder am Roten Berg genau besser macht als in Ilversgehofen, sei dahingestellt. Doch was die eigentliche Frechheit ist, ist die Tatsache, dass Neonazigewalt scheinbar erst dann ein Grund zum Handeln ist, wenn sie eine und einen selbst betrifft oder Gefahr läuft, dem eigenen Veranstaltungsbusiness zwischen Techno-Partys und ‘irgendwas mit Kunst’ im Weg zu stehen. Während diese Ignoranz seitens der ach so alternativen Teile des HnK Bündnisses lediglich etwas unangenehm auffällt, schlägt die am 30.11. anstehende Kungebung der Stadtwerke mit dem Quartiersmanagment „Soziale Stadt Erfurt“ dem Fass den Boden aus. Noch bevor auf die reelle Gefahr für bedrohte Menschen hingewiesen wird, mokieren die sich darüber, dass „verfassungsfeindliche Parolen gerufen und die Wände des Viertels damit beschmiert werden“. Das Problem könnte also genauso gut die Abwertung der Immobilienrentabilität durch „System Change not Climate Change“ sein. Im Anschluss wird dann etwas von einer „Unterwanderung des Viertels“ durch die Nazis geredet, als wenn das irgendwelche „Zugewanderten“ wären und das Viertel ansonsten immun gegen jedes menschenverachtende Gedankengut wäre. Scheinbar ist vielen beteiligten Akteuer*innen entfallen, dass rassistische Gewalt durch deutsche Rassist*innen und Bullen auch in Ilversgehofen seit vielen Jahren auf der Tagesordnung steht. Ob bewusst oder unbewusst nicht wahrgenommen: Eure Party-“Hood” ist weder bunt, noch weltoffen, noch nazifrei. Nur bekommen das die Kulturschaffenden dieser Gegend weniger zu spüren als rassifizierte Menschen oder eben die Pseudo-Punks im AJZ.
Im Zentrum der Übergriffe standen Mitglieder der „Neuen Stärke“ und insbesondere ihr um Aufmerksamkeit geiferndes Nachwuchstalent Florian Rassbach, welches seine Mietwohnung in der Salinenstraße zum Ausgangspunkt rechter Aktivität machte. Die letzten Monate stellten sich ihm vermutlich als passende Gelegenheit dar, um im Anschluss an die dort stattfindenden Besäufnisse mit den Kameraden sein kümmerliches Selbst durch Verbreitung von Angst im Viertel zusammenzuhalten. Die Neue Stärke, sein Lebensinhalt und Sinn, kopierte als „Resterampe für Neonazis“ ihre Vorgängerstruktur, den Dritten Weg. Als Dumpfbirnenversion der elitären Kaderpartei passte sie mit ihrer Kombination aus pseudoantikapitalistischer Pose und peinlichem Daueraktivismus wie die Faust aufs Auge zahlreicher Erfurter Neonazis, die ihrer verzweifelten Straßengewalt dadurch nun einen höheren Sinn zuschreiben können. So ging von ihnen der brutale rassistische Übergriff am 1. August 2020 auf dem Herrenberg vor ihrem ehemaligen Vereinslokal aus. Dabei wurde der potenzielle Tod der Angegriffenen wurde dabei billigend in Kauf genommen. Mittlerweile hat sich die Neue Stärke und insbesondere das Erfurter Zentrum zwar selbst zerlegt. Dies ändert aber nichts daran, dass ihre ehemaligen Mitglieder weiterhin pöbelnd vor Imbissbuden an der Magdeburger Allee anzutreffen sind, wo sie nachdem sie alles andere verloren haben ihr Weltbild zur Schau tragen.
Die Aufmerksamkeit, die der Neuen Stärke und ihren Anhängseln entgegengebracht wird, sollte aber nicht davon ablenken, dass sich das Erfurter Nazi-Problem keineswegs auf diese beschränkt. Rassismus, Antisemitismus und Queerfeindlichkeit sowie deren gewaltsame Durchsetzung sind Alltag in Erfurt, ohne dass sich daran sonderlich viele Leute stören würden. In der Regel gehen solche Gewalttaten NICHT von der besonders auffällig uniformierten Gurkentruppe aus, sondern von ganz gewöhnlichen Deutschen und desto eher werden sie auch vom Staat oder dem, was sich Zivilgesellschaft schimpft hingenommen.
Was analytisch eins zu eins auf die Imagekampagne des Quartiersmanagment zutrifft, so reihen sich auch weite Teile der beteiligten Gruppen und Locations des Hood-not-Kiez-Bündnisses in diese Ignoranz ein. Nur schwer konnte durchgesetzt werden, dass eine antifaschistische Hood gefordert wird und nicht nur eine „nazifreie“.Während es dem Großteil der Akteur*innen vorrangig um die Inszenierung eines hippen, alternativen Stadtteils zur Geschäftsförderung ging, wurde eine gesellschaftskritische Stoßrichtung nur von einigen wenigen thematisiert. Dafür sagen wir Danke.
Die pseudo-unpolitische und egalitäre Haltung gegenüber der gesamtgesellschaftlichen Relevanz von Antifaschismus und linkradikaler Positionierung erschwert immer wieder die politische Arbeit in Erfurt. Ein gemeinsamer und starker Kampf gegen rechte Strukturen, neonazistische Gewalt und staatliche Untätigkeit wird so verunmöglicht. Ohne eine klare politische Auseinandersetzung bleibt es bei einer Inszenzierung zur eigenen Imagepflege.
Unserer Meinung nach reiht sich das Bündnis dabei in eine allgemeine Tendenz ein, welche sich beim Umgang mit dem Naziproblem rund um den Ilvers aus vermeintlich linken, aufgeklärten Kreisen zeigte. Die notwendige Solidarität mit Betroffenen rechter Gewalt und ein wichtiger kollektiver Umgang mit der Bedrohungslage wurde schnell zur Kleingartenmentalität für das gute Gewissen einen Stellvertreterkonflikt im „eigenen“ Viertel führen zu können. Rassbachs genauer Aufenthalt wurde Stadtgespräch. Was für Menschen die sich unmittelbar bedroht fühlen wichtig ist, führte soweit, dass man in weitaus größerem Maße dieses Bedrohungsgefühl selbst permanent herstellte. Merkwürdig erscheint dies, weil man kaum eine Station Straßenbahn fahren kann, ohne einen Erfurter Fascho oder einen potenziell gewaltbereiten Durchschnittsdeutschen zu treffen. Natürlich ist ein Haufen biergeschwängerter NSEler gefährlich und stellt eine Bedrohung dar, allerdings sollte man nicht in eine grenzenlose Dämonisierung verfallen, die den aktiven Kampf gegen sie mehr lähmt als bestärkt. Was sie selbst nie hätten schaffen können und was von Anfang an das Ziel war – nämlich einen Angstraum im Viertel zu schaffen – bewerkstelligte man einfach selbst und konnte dabei noch seinen moralischen Mehrwert einstreichen. Dabei wurde auch immer wieder die gestiegene Bullenpräsenz in Folge der Angriffe durch die Nazis positiv für die Sicherheit hervorgehoben. Wir fragen uns, wessen Sicherheit das sein soll. Für die Mehrheit der Menschen hier im „Gefahrengebiet Magdeburger Allee“, wo eh schon alle eher hypothetischen Rechte gegenüber der Polizei einkassiert wurden und rassistische Polizeischikane zum Alltag gehört, stellte das sicher eine größere Gefahr dar, als eine Hanswurst in Nazi-Uniform selbst. Ganz zu schweigen davon, dass dadurch wirksame Aktionen gegen die Bande erschwert wurden. Dieser selbstbezügliche Blickwinkel scheint uns für den Umgang mit dem Naziproblem im Viertel paradigmatisch.
Auf dem Herrenberg feiern 100 Kids in der Öffentlichkeit Naziparties, im Nordpark wird ein Kind aus rassistischen Gründen mit einer Glasflasche zusammengeschlagen und die Thüringer Justiz bietet organisierten Neonazischlägern reihenweise Deals und Bewährungen an. Im vergangenen Jahr hatte die Neue Stärke ihren SITZ im angrenzenden Viertel. Jedes Jahr werden rassifizierte Menschen auf der Magdeburger Allee zusammengeschlagen, ohne das es irgendeinen großartig juckt. Aber nachdem eine Horde besoffener Nazischweine vors AJZ zog, um den eigenen Wahn zu bestärken, da gründete man plötzlich unzählige Bündnisstreffen und die institutionalisierte Zivilgesellschaft schickte sich an, eine Kundgebung zu organisieren.
Die Faschos hier und anderswo stellen eine Gefahr dar und haben das mehrfach bewiesen. Wir wollen das nicht verharmlosen. Es ist begrüßenswert, wenn Menschen sich zusammenfinden und dabei merken, wie sie in der politischen Aktivität Dinge emanzipativ zusammen verändern können. Dies ist aber etwas anderes als die Kleingartementalität mit der sich manche hier als alternatives Viertel inszenieren wollen und auch etwas anderes als die institutionalisierte Zivilgesellschaft deren Lohn und Brot es ist, Unrecht zu skandalisieren statt es abzuschaffen. Wenn die neue Bedrohungslage im eigenen Umfeld nicht zu einer größeren politischen Auseinandersetzung führt,sondern diese als Stellvertreterkonflikt wahrgenommen wird um sich mit gutem Gewissen politisch beschäftigt zu fühlen läuft etwas bei uns selbst gehörig falsch.
Statt Kundgebungen abzuhalten, plädieren wir fürs Zurückpöbeln, anstelle von Standortinszenierung fordern wir für breite Solidarität übers eigene Umfeld hinaus, statt rumlabern beim Runden Tischen den Antifaschistischen Selbstschutz.
Wir sagen: Konsequenter Antifaschismus mit allen Mitteln, statt kollektivem schulterklopfen!
Zuletzt fordern wir noch Freiheit für Lina, unsere Freundin, die seit zwei Jahren in Haft sitzt, weil ihr vorgeworfen wird, genau das getan zu haben, was richtig und notwendig ist.
Bleibt 129a und danke trotzdem, dass ihr da seid und gewillt seid, die hiesigen Unzumutbarkeiten einfach hinzunehmen.”