Die Unbegreifbarkeit der Pandemie und der angeblich „spontanen Ordnung“ der Wirtschaft führt zu Panik und Entindividualisierung. Die Panik isoliert und entsolidarisiert. Die Angst vor dem Virus oder den Einschränkungen führt zur beeinflusst den gesellschaftlichen Zusammenhang in allen Bereichen. Zu sehen ist Isolierung vor der Gesellschaft und Selbstrettung, anstatt der Bereitschaft zur Veränderung des Status Quo. Im Folgenden wollen wir, in mehreren Teilen, Texte zu aktuellen Auswirkungen der sich zuspitzenden Krise während der Corona-Pandemie eingehen. Der erste Teil beschäftigt sich mit dem offenen Antisemitismus der Corona-Leugner:innen sowie dem, besonders in Deutschland stark vertretenen Bezug zum Nationalsozialismus. In unregelmäßigen Abständen werden wir weitere Texte zu den Auswirkungen der Pandemie in Bezug auf Klasse, Geschlechterverhältnisse und weitere Schwerpunkte veröffentlichen.
Die autoritären Phantasien der Verschwörungsideolog:innen sind Ausdruck eines neoliberalen Irrationalismus. Sie sind in dieser Gesellschaft entstanden, in der während der Corona-Pandemie auch soziale und gesellschaftliche Fragen Privatsache des Individuums sind (G. Stapelfeldt, 2020).
Der deutsche Michel kann die Pandemie nicht umreisen und antisemitische Mythen, die längst in der Gesellschaft vorhanden waren, greifen seit Beginn der Pandemie und den Corona-Maßnahmen um sich. Nicht nur in zahlreichen Chatgruppen und im Netz wird antisemitischer Hass propagiert. Laut Rias (Department for Research and Information on Antisemitism) hatten allein in den ersten drei Monaten nach Ausbruch der Pandemie fast die Hälfte der antisemitischen Angriffe in Deutschland inhaltlichen Bezug zur Pandemie, viele ließen sich dem verschwörungsideologischen Milieu zuordnen. Auch auf Demonstrationen werden Verschwörungserzählungen verbreitet und die Shoa relativiert. Die Selbststilisierung zum Opfer gepaart mit Holocaustrelativierung ist ein elementarer Teil der meisten Anti-Corona-Demonstration. Die Pandemie befeuert den Antisemitismus und den Drang der Deutschen zur Schuldabwehr und Aggression gegenüber Jüdinnen und Juden. Gängige antisemitische Hetzgeschichten identifizieren Kleingruppen und Einzelpersonen als Schuldige für Covid-19. Neben diesen offen antisemitischen Erzählungen bietet die Pandemie auch die Gelegenheit Verschwörungstheorien ohne die explizite Nennung jüdischer Personen zu verbreiten. Diese Erzählungen finden (noch mehr) Anklang in der breiten Bevölkerung und sind Brandbeschleuniger für den Hass und für antisemitische Vernichtungsphantasien.
Antisemitismus und Verschwörungsideologie in Zeiten der globalen Krise
Antisemitismus und Verschwörungsideologien sind Weltanschauungen mit Hochkonjuktur in Zeiten der Krise. Insbesondere Verschwörungsideologien gewinnen in einer weltweiten Pandemie an Bedeutung. Sie dienen dazu eine Komplexität des Virus, der Pandemie-Bekämpfung und der wirtschaftlichen sowie sozialen Folgen klein zu halten. Über das Virus war von Anfang an nicht viel bekannt, es handelte sich um eine abstrakte Gefahr, die Unsicherheiten verstärkte. Auf der Gegenseite zur abstrakten Gefahr steht jedoch, dass die konkreten Auswirkungen der Pandemie spürbar sind. Sei es in Form von Maßnahmen zur Eindämmung oder eben in Form der konkreten gesundheitlichen Auswirkungen. Die Zunahme an Unsicherheiten und die Komplexität befeuern das Bedürfnis nach einfachen Erklärungsmustern. Abstrakte Vorgänge werden durch personalisierte abgelöst. Die Welt lässt sich leichter erklären, wenn sie Einteilungen in Kategorien von wir/die, gut/böse, schwarz/weiß folgt. Somit werden abstrakte Vorgänge vermeintlich begreifbarer.
Der Antisemitismus keimt seit jeher in Krisensituationen weiter auf. Je existenzieller die Krise, desto finaler spinnt sich der Antisemit ein Geflecht vom Endkampf von Gut gegen Böse. Für die konkreten Auswirkungen werden Verantwortliche identifiziert und gebrandmarkt. Dabei geht es nicht um politische Verantwortlichkeiten, denn jemand wie Bill Gates oder Soros tragen keinerlei politische Verantwortlichkeit z.B. in Deutschland, sondern es geht um jene personifizierte Zuschreibung des mächtigen Bösen. Solche Verschwörungsideologien weisen immer eine antisemitische Struktur auf. Ihre Analyse und Zuschreibungen sind gleich. Die vermeintlich Verantwortlichen gelten als durchtrieben, manipulativ und mit Macht der Kontrolle ausgestattet. Während jedoch diese Personifizierungen immer neuen Leuten zugeschrieben werden kann und sich neue Chiffren finden lassen, bleibt doch eine Konstante der Verschwörungsideologien erhalten: die Juden.
Bei der Betrachtung von „Querdenken“ und anderen Corona-Leugner:innen in Deutschland fällt vor allem auf, dass hier behauptet wird, Deutschland befinde sich entweder auf dem Weg in oder sei bereits eine Diktatur. Jene vermeintliche Angst vor einer Diktatur ist dabei Ausdruck einer autoritären Sehnsucht der sogenannten „Querdenker“. Denn genau so eine Gesellschaftsform, mit samt dem antisemitischen Überbau dieser Betrachtung, streben sie an. Man kann hier zurecht von einer konformistischen Rebellion sprechen. Sie reden von Freiheit, meinen aber Faschismus. Es zeigt sich der negative Ausdruck der Sehnsucht nach einer autoritären Gesellschaft, deren unmittelbare Herrschaft des (deutschen) Volkes die Gesellschaft regelt oder sich die herbeigesehnte Herrsschaftrolle in konkreten Führerfiguren widerspiegelt. Dies äußert sich unter anderem in dem Zeigen von Reichskriegsfahnen, welche als Anbiederung an die Kaiserzeit und somit als Kontrastellung zur ‘BRD Gmbh’ und derer bestehenden Regierung geäußert wird. Diese Sehnsucht ist vor allem unbewusst und drückt sich durch die Projektion auf die bestehende Gesellschaft aus. In dem der Regierung beispielsweise der Vorwurf gemacht werde, man wolle die Demonstrationsfreiheit einschränken oder “zwangsimpfen”, was an sich nicht der Wirklichkeit entspricht, äußern die sog. “Querdenker” viel mehr, wie sie sich eine Gesellschaft vorstellen. Denn wenn der Staat bisher wirklich autoritäre Tendenzen zeigte, war kein großer Aufschrei zu vernehmen. Wenn sich beispielsweise die EU an ihren Außengrenzen mit aller Macht abschottet oder wenn die Überwachung im Internet ausgebaut werden soll. Als letzte Konsequenz einer Vorstellung der autoritären Gesellschaft, nach Vorstellung von Verschwörungsideolog:innen von “Querdenken”, steht der antisemitische Mord.
Die Weltsicht von Corona-Leugnern und Antisemiten ist dabei in vielen Punkten von der Realität entkoppelt. Ihre autoritäre Fantasie ist dabei eine pathische Projektion, gleich dem Antisemitismus. Die komplexen Strukturen werden reduziert, damit sie psychisch handhabbar werden. Letztlich läuft es auf die Vernichtung des personalisierten Bösen hinaus, nach dessen Beseitigung, in der Vorstellung des Antisemiten, alles wieder gut werden würde.
NS-Bezug als Schuldabwehr
Besonders auffällig ist bei den Corona-Demos, vor allem in Deutschland, der klare Bezug zum Nationalsozialismus. Dabei werden NS-Bezüge zur heutigen Zeit hergestellt. So wird der Virologe der Berliner Charite, Christian Drosten, mit dem Auschwitz-Arzt Josef Mengele verglichen, um nur eines der perfiden Beispiele zu benennen. Eine Jana aus Kassel verglich sich und ihren vermeintlichen Widerstand gegen die „Corona-Diktatur“ mit Sophie Scholl. Hinter einer solchen Ansicht steckt vor allem eine Abwehr der Schuld. Die deutsche Täterrolle wir abgestriffen und man kann sich selbst zum Opfer erklären. Damit vollziehen die selbsternannten Widerstandskämpfer:innen keine direkte Leugnung der Shoah, aber sie stellen sich selbst an die Stelle der Opfer eben dieser. Damit vollziehen sie nicht nur eine klare Relativierung der Shoah und des Nationalsozialismus, sondern füttern auf diese Weise ihren eigenen Antisemitismus. Es ist dabei die Rede von einem „neuen Holocaust“, den die jüdischen Eliten über das Virus (oder Impfung) an den Deutschen vollziehen wollen. Diese deutsche Schuldumkehr, die Dämonisierung der Juden sowie eine Inszenierung als Opfer sind nicht nur deutsch, sondern elementar für den Antisemitismus nach 1945.
Die eigene Darstellung als Opfer, man sei mindestens so hart betroffen wie die Juden selbst, ist nicht nur eine Form der Relativierung, sondern stellt ebenfalls im wiedergutgewordenen Deutschland eine wichtige Rolle im Umgang z.B. mit internationaler Politik und Interessenvertretung dar. Mittels der eigenen Opferrolle, die jährlich am sogenannten Volkstrauertag oder durch den Mythos der Trümmerfrauen aufrecht erhalten wird, wird es ebenso leichter sich in dieser Rolle wiederzufinden, wenn der Täter feststeht. Somit werden die Juden, die per se (um ein schon altes antisemitisches Klischee miteinzubinden) ja selbst an ihrer Verfolgung und Vernichtung schuld seien, zum Täter deklariert. Da jedoch, wie bereits erwähnt der Antisemitismus nach 1945 nicht mehr offenkundig in massenhaften Progromen gegen Juden ausartet, werden andere Wege gesucht und gefunden. Die Projektion der Täterrolle findet schließlich sein Ziel im jüdischen Staat Israel. Besonders gut lässt sich dies an aktuellen Ausfällen deutscher Politiker in Bezug auf die Hohe Impfquote in Israel sehen. So äußerte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haselhoff, in Bezug auf die Hohe Impfquote in Israel: “So schnell wie Israel werden wir es nicht schaffen. Aufgrund der bei uns notwendigen rechtlichen Beratung könnenwir das nicht im Drive-In Verfahren machen. Wir sind immer noch ein Rechtsstaat.” Damit impliziert Haselhoff, dass Israel dies nicht sei, viel mehr ein “Unrechtsstaat”.
“Deutscher Schuldkomplex” – endlich Opfer statt Täter
In der Argumentation sogenannter “Querdenker” passt die weitverbreitete Rede eines deutschen Schuldkomplexes, der durch eben jenen Schlussstrich und Neuanfang unter der deutschen Geschichte, überwunden werden müsse, um zu neuem nationalen Selbstbewusstsein zu gelangen. Jedoch ist alleine der Begriff des ‘Schuldkomplexes’ ein Indiz für die fehlende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, so schreibt Adorno in ‘Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit’:
„Bei allem jedoch hat die Rede vom Schuldkomplex etwas Unwahrhaftiges. In der Psychatrie, der sie entlehnt ist und deren Assoziation sie mitschleift, besagt sie, dass das Gefühl der Schuld krankhaft sei, der Realität unangemessen, psychogen, wie die Analytiker es nennen. Mit Hilfe des abreagieren und durch Rationalisierung der törechtesten Art verbiegen, gar keine Schuld wäre, sondern bloß in ihnen, ihrer seelischen Beschaffenheit bestünde: die furchtbare reale Vergangenheit wird verharmlost zur bloßen Einbildung jener, die sich davon betroffen fühlen.“
Es handelt sich also viel mehr um eine Schuldabwehr, wobei die Vergangenheit verwischt und verbogen wird, so dass sie von sich weggewiesen und auf andere projiziert werden kann. Sie dient somit der Vorstellung eines Schlussstrichs unter den als elendig empfundenen Debatten und Auseinandersetzungen.
Es kann also festgehalten werden, dass der NS-Bezug der Corona-Leugner:innen sich von zwei Seiten erklären lässt, die ineinander greifen. Auf der einen Seite möchten sie einen vermeintlichen “Schuldkomplex” überwinden und sich auf der anderen Seite selbst als Opfer eines “neuen Holocaust” betrachten. Wie dies aussehen soll, unterscheidet sich von Antisemit:in zu Antisemit:in im Detail. Nicht jedoch in seiner grundlegenden Struktur. Für die einen befindet sich Deutschland wieder in einer Diktatur, aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Für weitere Antisemit:innen birgt die Impfung genug Potenzial für derartige Verschwörungen.
Die Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und der Shoah dient jedoch den Querdenkern nur zu einem Zweck. Die eigene Inszenierung als Opfer und das Vergessen der Millionen ermordeten durch deutsche Hand und ist elemenatr für den deutschen Antisemitismus.