Am 19. Dezember möchte ein Bündnis an Gruppen in Erfurt gegen Waffenlieferungen an die Türkei und Israel demonstrieren. Dagegen organisiert sich eine Gegenkundgebung unter dem Motto “Gegen jeden Islamismus – Keinen Meter mit Antisemit:innen – Solidarität mit Rojava und Israel”. Weshalb wir die Gegenkundgebung unterstützen und die Kundgebung der vermeintlich Friedensbewegten ablehnen, erklären wir in folgendem Text.
Der Sturz des Assad-Regimes in Syrien eröffnet für die Mehrheit der Bewohner:innen, nach Jahren in unvorstellbaren Kriegszuständen, Tod und Folter, endlich eine Chance auf ein Leben in relativer Sicherheit und Freiheit. Wie sehr dies durch die islamistische HTS-Miliz gewährleistet werden kann, bleibt skeptisch abzuwarten, wünschenswert wäre es. Gleichzeitig stellt sich dies für die kurdische Bevölkerung im Norden Syriens ganz anders dar. Die Türkei und die von ihr unterstützten SNA-Milizen sowie weitere jihadistische Gruppen greifen die kurdischen Gebiete massiv an. Die Angriffe zwingen die Kurdische Minderheit, zu fliehen. Während Druz:innen, eine Minderheit im Süden des Landes eine Annexion durch Israel erwägen, da ihnen die Vorteile der Staatsbürgerschaft im einzigen demokratischen Staat des Nahen Ostens sehr wohl bewusst sind, sind die Kurd:innen im Norden des Landes weitestgehend auf sich gestellt, auch wenn die Luftschläge der israelischen und amerikanischen Streitkräfte sie davor bewahren, dass sich Teile ihrer Feinde mit Giftgas und ballistischen Raketen bewaffnen können. Eine weitere Verschlechterung der Situation droht mit dem Abzug der bislang verbliebenen amerikanischen Streitkräfte auf dem Boden in Syrien.
Wo jedoch Israel und die USA gegen Islamisten kämpfen sind antisemitische Narrative nicht weit und so ruft eine illustre Runde in Erfurt mit kontrafaktischen Vergleichen zu einer anti-israelischen Kundgebung auf. „STOPPT DIE WAFFEN-lieferungen an die Türkei &Israel“ heißt es auf der obligatorischen Mobi-Kachel auf Instagram und stellt damit den Antiterrorkampf Israels, ausgelöst durch das Massaker am 07. Oktober 2023, bei dem mehr als 1200 Zivilist:innen auf brutalste Weise von Hamas und islamischen Jihad ermordet und rund 250 Menschen als Geiseln nach Gaza verschleppt wurden, in die rhetorische Nähe mit Erdogans nationalistischen Expansionskrieg und der Vertreibung der Kurd:innen aus Nordost-Syrien. Die richtige und dringliche Sache der Kurd:innen wird instrumentalisiert um sich gegen den einzig jüdischen Staat in Stellung zu bringen und diesen zu dämonisieren.
Unterstützt wird das Ganze unter anderem von “Women Defend Rojava – Jena”, der “Offenen Arbeit Erfurt” dem Stadtverband der “Linkspartei Erfurt” aber auch von notorisch antisemitischen Gruppen wie der “Jugendkommune Weimar” dem “SDS Jena” und den Israelhassern von MERA25, dem deutschen Ableger von DiEM25, einer Paneuropäischen Partei. Gegründet wurde diese von Yanis Varoufakis, der auch als ihr Spitzenkandidat antritt. Dieser fiel in der Vergangenheit durch seine Weigerung auf, das Massaker von Hamas und Islamischem Jihad, als Terrorangriff zu bezeichnen. Erfurter Linke sollte die Zusammenarbeit vor allem deshalb irritieren, weil MERA25 im März gemeinsam mit “Erfurt Unsilenced”, der lokalen antiisraelischen Gruppe versuchte, die Demonstrationen zum Feministischen Kampftag für antisemitische Themen zu vereinnahmen. Nachdem sich das Orga-Team des Feministischenkampftagsbündnisses erfolgreich gegen die Vereinnahmung gewehrt hatte, inszinierten sich “Erfurt Unsilenced” und “MERA25” im gemeinsamen Statement, als Opfer eines vermeintlich „westlichen, ausgrenzenden, egozentrischen und selbstgefälligen Feminismus“. Alles noch nachzulesen auf der Homepage von MERA25. Auf der selben Homepage findet man eine per Mitgliederentscheid bestätigte Solidaritätsbekundungen und Werbung für die Israelhasser der BDS-Bewegung die sich offen für den wirtschaftlichen, politischen sowie kulturellen Boykott Israels einsetzen was schlicht eine Neuauflage des “Kauft nicht bei Juden” darstellt. Dass man dadurch israelbezogenen Antisemitismus eine Plattform bietet, muss sich der gesamte Orga-Kreis vorwerfen lassen.
Im Aufruf bemüht man den jüngsten höchst fragwürdigen Bericht von Amnesty International (näheres zum BDS-Verschnitt des ersten AI Berichts hier), in dem weder auf den Kontext des militärischen Konfliktes ausreichend eingegangen wird, noch wird zwischen Kombattanten und zivilen Opfern unterschieden. Außerdem wird das Völkerrecht, das in solchen Kreisen in der Regel längst zum Fetisch erhoben wurde, kurioserweise in dem Bericht kurzerhand umgedeutet, da das Vorgehen Israels andernfalls der völkerrechtlichen Definition eines Völkermords nicht genügen würde – und diesen möchte man um jeden Preis Israel anlasten. Dass solche Berichte nur dann etwas wert sind, wenn gegen den jüdischen Staat gehetzt werden soll, zeigt auch die Tatsache, dass ein Bericht der selben Organisation der die Vertreibung tausender Araber:innen und die Zerstörung von Dörfern in den kurdischen Gebieten kritisierte, nicht für Boykottaufrufe und Demonstrationen gesorgt hat.
Dass es ein Unterschied ist, ob Israel einen Antiterrorkampf führt um seine Bürger:innen vor der totalen Vernichtung zu verteidigen oder die Türkei mit deutscher Unterstützung islamistische Milizen bewaffnet und Kurd:innen vertreibt, scheint den Unterstützer:innen nicht aufzufallen.
Die durch den Zionismus ermöglichte und hart erkämpfte Souveränität des Staates Israel, die Vorraussetzung für die Abwehr eines zweiten Auschwitz ist, und um deren Durchsetzung Israel ständig bemüht wird, versucht man dem bedrohten Staat erneut anzulasten. Schon Golda Meir, ehemalige Primierministerin Israels gab zu verstehen: “Ich ziehe es vor, am Leben zu bleiben und kritisiert zu werden, statt Mitgefühl zu erhaschen”. Denn Mitgefühl kann man in einer feindlichen Umwelt nicht erwarten, worum Meir genau wusste. Dies mussten auch die Kurd:innen schon bitter erfahren. Als die US-Streitkräfte, nach dem erfolgreichen Kampf gegen Daesh (Islamischer Staat), weitestgehenden aus Rojava abzogen, waren die Kurd:innen, vorher gefeierte Verbündete des Westens, auf sich gestellt und sahen sich gezwungen einen faulen Deal mit dem Folterregime von Assad einzugehen um ihre Autonomieansprüche irgendwie abzusichern. Nach Assads Sturz ist die kurdische Selbstverwaltung in Rojava völlig der Türkei und ihren Handlangern ausgeliefert. Zur Erfahrung dieser Einsamkeit können insbesondere Israelis, zu denen auch rund 300.000 Kurd:innen gehören, zahlreiche schmerzliche Beispiele in ihrer jungen Geschichte anführen. Ebenso ist es Israels erfolgreichem Kampf gegen die Hisbollah im Libanon geschuldet, dass ein Sturz des Assad-Regimes überhaupt möglich wurde.
Dass eine Forderung der Sabotage der israelischen Wehrhaftigkeit einer Forderung nach einem zweiten Holocaust gleichkommt, scheint Teilen der unterstützenden Gruppen nicht klar zu sein. Jean Amery erkannte bereits Ende der 60er im Antizionismus der Linken die geopolitische Reproduktion des alten antisemitischen Wahns. In seiner Rede 1976 über den ‘ehrbaren Antisemitismus’, bezugnehmend auf sein Essay “Der ehrbare Antisemitismus”, schlägt er Alarm und zitiert den bekannten Literaturkritiker Hans Mayer: „Der Staat Israel ist ein Judenstaat. Wer ihn zerstören will, erklärtermaßen oder durch eine Politik, die nichts anderes bewirken kann als eine solche Vernichtung, betreibt den Judenhass von einst und jeher.“ Darin steht der linke Antizionismus dem der Nationalsozialisten in nichts nach. Wer sich unreflektiert der Forderung zum Boykott Israels anschließt, muss sich dann auch diesen Vorwurf gefallen lassen. Hinter dem Ruf nach einem Stopp der Waffenlieferungen, verschanzen sich, frei nach Paul Spiegel, nicht nur die Mörder, sondern oftmals auch ihr plumper Antisemitismus und der Wunsch Israels Selbstverteidigungsfähigkeit zu nehmen.
Allen die nicht mit Antisemit:innen demonstrieren wollen und keine Unterscheidung unter den Opfern des Islamismus machen, sei die Gegenkundgebung am 19.12. um 17 Uhr, Hauptbahnhof Erfurt empfohlen.
Für eine antisemitismuskritische Linke.
Solidarität mit Israel.
Gegen den islamistischen Todeswahn in Kobane, Gaza oder sonst wo.