Am 01.11. zeigten wir zum Ratschlag-Auftakt in Weimar den Film “Liza ruft!”. Er ist ein Porträt der jüdischen Widerstandskämpferin Fania Brantsovsky, die aus dem Vilnaer Ghetto fliehen konnte und sich mit einigen anderen Juden und Jüdinnen den sowjetischen Partisanen in den Wäldern vor der Stadt im Kampf gegen die deutsche Besatzung anschloss. Die Erinnerung an den jüdischen Widerstand war seither mit verschiedenen revisionistischen Erzählungen konfrontiert. Am 22. September 2024 starb Fania im Alter von 102 Jahren als die letzte Überlebende des Vilnaer Ghettos. Den Kampf für die Erinnerung an Juden und Jüdinnen des Ghettos und diejenigen die in den Wäldern kämpften, aber auch starben, führte sie bis an ihr Lebensende. Ein Nachruf.
Mit der Befreiung durch die Rote Armee endete zwar der harte Widerstands- und Überlebenskampf Fanias, doch begann eine Zeit in der sie ihre Geschichte und ihre Erlebnisse gegen den staatlichen Geschichtsrevisionismus der Sowjetunion sowie des späteren Litauens verteidigen musste.
Das Gedenken an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus war zwar Teil der sowjetischen Staatsräson, Erinnerung explizit an den jüdischen Widerstand sowie an die Shoah wurden jedoch unterdrückt. Die sowjetische Erzählung, dass die Verbrechen einzig und allein von den Deutschen verübt wurden, kaschierte die breite Beteiligung litauischer Kollaborateure an den Verbrechen. Die jüdischen Opfer wurden unter den Begriff der ‘Sowjetbürger’ subsumiert, der eliminatorische Antisemitismus somit aus der Geschichtsschreibung verbannt. Nach 1990, stiftete die geschichtsrevisionistische Erzählung von einem “braunen Holocaust” – gemeint sind die NS-Verbrechen – sowie einem “roten Holocaust” – die Verbrechen der Sowjetunion – der jungen litauischen Nation eine Identität.
Diese Erinnerungspolitik ebnete den Weg für eine Welle des antisemitischen Hasses. Eine antisemitische Kampagne gegen Fania und einige ihre Mitkämpfer:innen entzündete sich an der falschen Behauptung, Fania habe an der Ermordung litauischer Dorfbewohner:innen durch Partisan:innen teilgenommen. Ein Gerichtsverfahren gegen sie konnte auf internationalen Druck abgewendet werden. Fania stand zwischen den Stühlen: Um ihrer Lebensaufgabe ungehindert nachgehen zu können, musste sie sich dem Staat anpassen. Dieser machte es sich gleichzeitig zur Aufgabe, die Geschichte, die sie erzählt zu relativieren und zu untergraben.
Der Tod Fanias könnte auch eine Verschärfung der litauischen Erinnerungspolitik bedeuten, denn ihre Existenz allein und damit ihre Geschichte als jüdische Widerstandskämpferin straften die Shoah-Relativierung lügen. Dovid Katz, der auch in dem Film zu Wort kam, fordert in einem Nachruf auf Fania die längst überfällige offizielle Entschuldigung Litauens für die Hetzkampagne gegen die jüdischen Partisan:innen.
Auch bleibt zu hoffen, dass die litauische Regierung Fanias Lebenswunsch nachkommt und die Partisanenfestung, in der sie mit den anderen Widerstandskämpfer:innen bis zur Befreiung überlebte, vor dem Verfall schützt und zu einem Gedenkort macht.
“I dream that good people from all over the world will not forget the Holocaust in Lithuania or our struggle to stay alive and to fight the Nazis and their collaborators, that for generations to come they will make their way here to look and see where we, a hundred Vilna Ghetto survivors who lost our entire families, lived, loved, fought, and dreamt of a better tomorrow.”
— Fania Yocheles Brantsovsky
Weiterführende Links: Website des Films “Liza ruft!” / Defending History – Blog über Geschichte, Revisionismus, Antisemitismus in Litauen