Am diesjährigen 1. Mai demonstrierten in Gera über 750 Antifaschist:innen unter dem Motto “Kämpfe verbinden – Kapitalismus überwinden!”, während zeitgleich knapp 200 Menschen in Sondershausen gegen eine Kundgebung von Neonazis, Querdenkern, Werte Union und Reichsbürgern unter dem Banner “Freies Thüringen” demonstrierten. Auf beiden Veranstaltungen hielten wir einen Redebeitrag, der eine unversönliche Kritik an der Gesellschaft und den herrschenden Produktionsverhältnissen in den Fokus rückte. Wir dokumentieren den Redebeitrag.
Liebe Freund*innen und Genoss*innen,
in der Tradition des 1.Mai kommen wir heute zusammen, um die Herrschafts- und Produktionsverhältnisse anzuprangern. Doch was meinen wir damit? Wir meinen die Verhältnisse, wo Lohnarbeit in ihrer Ausgestaltung gleich Ausbeutung ist. Ausbeutung wofür? Für einen Chef, der Dank unserer Mehrarbeit eine ruhige Kugel schieben kann?
So einfach ist es nicht, denn es ist die innere Notwendigkeit der Mehrwertproduktion. Mit unserem Schicksal sind wir untrennbar an Produktionsverhältnisse gebunden, deren Ziel Niemandes Bedürfnisbefriedigung ist. Ihr Zweck ist allein stetiges Wachstum, gefüttert durch Aneignung unserer Arbeitskraft. Dafür fallen zwar Brotkrumen ab, die gerade so dazu reichen, die nötige Arbeitskraft aufrecht zu erhalten. Ein selbstbestimmtes Leben ist so noch lange nicht möglich. Ziel muss es stattdessen sein, Kritik am Schein der Autonomie zu üben und für den Eintritt in einen wahrhaft menschlichen Zustand zu kämpfen. Dass wir uns nach den irrationalen Anforderungen dieser Gesellschaft richten, wie ein feudaler Bauer nach den Jahreszeiten, basiert nicht zuletzt auf Zwang, sondern ist schon längst zu unserer zweiten Natur geworden. Das Perverse daran ist, wie tagtäglich das Gegenteil suggeriert wird, als hätten wir eine freie Wahl. Als würde die Konkurrenz auf dem Markt der Möglichkeiten die größtmögliche Freiheit und Selbstbestimmung sein, sodass irgendwann jeder die gleichen Chancen haben könnte.
Während in der Inflation immer weniger Menschen wissen, wie sie ihre Ausgaben bewerkstelligen sollen und die Freiheit der Waren gleichzeitig auf dem Ausschluss von ebendieser vermeintlichen Freiheit beruht, krächzen die Industriellen und ihre Lobbyvertreter, dass die Wirtschaftskrise kommt.
Als Lösung sollen Sozialausgaben und Löhne gekürzt werden. Wir alle sind doch nur Mittel zu einem höheren Zweck: der Mehrwertproduktion, – unser Leben zählt nicht.
Es besteht dabei keine Bedrohung von einem ominösen Außen, wie Migrant*innen. Im Inneren gibt es keine durchtriebenen Kräfte die für unser Unglück verantwortlich sind, wie uns die antisemitischen Narrative aus der Ecke der Verschwörungsfantasien vorgeben. Die Krise ist der ungeschönte Ausdruck unseres Alltags. Die Menschen sind sich-verselbstständigt-drehende Rädchen im Getriebe der Volkswirtschaft. Die Integration in die Konkurrenz des Arbeitsmarkt, durch die sich die Menschen als vereinzelt und austauschbar erleben, kompensieren diese durch eine nationale Identität. So schützen sie sich und ihr Rudel vor Konkurrenz zum „Fremden“. Sollen die anderen leiden, nicht ich. Ebenjener verinnerlichte, aber logische Konkurrenzgedanke bietet einen fruchtbaren Nährboden, sodass der Keim des Autoritären wachsen kann – Eine barbarische Mentalität der Absicherung des eigenen Überlebens! Es entsteht ein Konkurrenzkampf um künstlich verknappte Zugänge zum Wohlstand. Seine Ursache ist die blinde Produktion. In einem System, welches unaufhörlich Krisen verursacht und diese für ihr Fortbestehen braucht, unterscheiden sich die offen auftretenden Menschenfeinde von den Menschenfreunden oftmals nur ästhetisch. Wie bunt ist der Stamm im akzeptierten Krieg aller gegen Alle?
Es ist kein Anliegen eines kapitalistischen Systems, dass Menschen in Freiheit und Gleichheit leben können. Es gilt zu hinterfragen und zu begreifen, warum diese Gesellschaft trotz fortschreitender Katastrophen wie beispielsweise Klimawandel, Kriegen und Ausbeutung nicht ihrer Abschaffung entgegengeht? Stattdessen erhält sie das System aufrecht und zementiert den Weg in unser aller Untergang!
Um das zu verhindern, braucht es eine unversöhnliche Kritik an der Gesellschaft, an deren erster Stelle stehen muss, sich einen Begriff von den herrschenden Verhältnissen zu bilden. Und auch das bringt nichts, wenn man sich nicht zusammenschließt.
Nur das organisierte “Nein” sprengt die Fesseln, ermöglicht Handlungsfähigkeit und Kollektives Lernen. Denn auch wenn die Zeiten garantiert nicht besser werden, sich die Krisen weiter zuspitzen, so ist zumindest diese Kritik an der Gesellschaft eine Möglichkeit, um die Hoffnung auf ein besseres Morgen und eine befreite Gesellschaft aufrechtzuerhalten.