Am 2. März fand in Weimar eine antifaschistische Demonstration unter dem Motto “Rechte Strukturen offenlegen – Faschismus von der Straße fegen” mit mehr als 300 Teilnehmenden statt. Anlässlich der Demonstration hielten wir einen Redebeitrag, warum Antifa nicht bei reiner Symptombekämpfung stehen bleiben kann und sich einer unversöhnlichen Kritik der Gesellschaft annehmen muss. Folgend wird der Redebeitrag dokumentiert.
Antifa heißt… begreifen!
Die heutige antifaschistische Demonstration in Weimar hat ein einfaches Anliegen. Es möchte den Fokus auf die Aufarbeitung einer Zunahme an rechten und neonazistischen Gewalttaten legen, deren Zunahme sowie die von „Polizeigewalt“ im Kontext eines gesellschaftlich fortschreitenden Rechtsruck begriffen wird. Das halten wir nicht für falsch, wenn auch für zu unkonkret. Denn ein Rechtsruck der Gesellschaft entsteht nicht einfach so, Neonazis und ihre Gewalt sind nicht einfach nur ein Resultat mangelnder Aufklärungsarbeit über sie. Da wo Antifaschismus bei der reinen Anti-Nazi-Arbeit stehen bleibt, läuft dieser Gefahr eine reine Symptombekämpfung zu sein ohne zu verstehen, warum diese Gesellschaft diese hervorbringt. Auch wenn das reicht, wenn man konkret bedroht wird, läuft man damit als Bewegung Gefahr das moralische Feigenblatt derer zu sein, denen es nur recht ist, wenn alles sonst bleibt wies ist.
So absehbar wie rassistische und neonazistische Gewalt ist, so ist alle Jahre wieder die Empörung über diese groß. Sei es nach der Selbstenttarnung des NSU, den Anschlägen von Hanau oder Halle oder der alltäglichen Straßengewalt in einigen Landstrichen. Zuletzt brachten Recherchen über die AfD eine neue Welle an Demonstrationen und politischen Forderungen hervor, fast so als wäre diese Partei nicht jahrelang mit ihren Einstellungen offen hausieren gegangen. Dass faschistische Kräfte von Deportationen, Rassenwahn und Vernichtungsantisemitismus schwadronieren und ihrer Konsequenz seit 1990 in Deutschland mehr als 200 Menschen ermordet haben, müssen wir hier wohl niemandem groß erklären. Dass diese Empörung jetzt in dieser Heftigkeit auftritt ist aber nicht mit den Inhalten irgendeines AfD-Treffens zu erklären, als viel mehr mit dem Versuch sich von den Schmuddelkindern der AfD abzugrenzen. Es ist aber auch so vehement, weil die AfD es geschafft hat das faschistische Potenzial dieser Gesellschaft zu bündeln und darauf aufbauen kann, dass in der postnazistischen deutschen Gesellschaft ihre autoritäre Menschenfeindlichkeit besonders gut gedeiht, sogar wenn man sie ganz offen vor sich herträgt. Rassismus, Antisemitismus, Queerfeindlichkeit etc. sind dabei keine Ideologiefragmente irgendwelcher Hakenkreuzspinner, sondern konstitutiver Bestandteil der Ideologie einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft. Zumindest für diese Erkenntnis ist die AfD ein guter Beweis: Es ist nichts was eine Bedrohung von außen ist, sondern dieser Gesellschaft immanent. Dass die offen auftretenden Menschenfeinde auf die Politik derer aufbauen kann, die die Durchsetzung der Verhältnisse hinter ihrer menschelnden Fassade verstecken, wird dieser Tage gerne vergessen.
Greifbar wird dies bei der sich stetig verschärfenden rassistischen Asylpolitik und der Durchsetzung der eigenen Interessen, für die die nützlichen Ausländer auch hierzulande schuften dürfen, während man die Unnützen entweder im Mittelmeer ersaufen lässt oder sie schnell „zurückführen“ will, wo man sie rechtsstaatlich attestiert Hunger, Tod und Elend überlassen kann.
Der Unterschied zu den Nazischlägern auf den Straßen, den Deportationsfantasien der AfD ist, dass hier der bürokratische Gang eingehalten wird und nicht einfach wahllos der Ausländer erschlagen oder unabhängig von seiner Verwertbarkeit für die Volkswirtschaft abgeschoben werden soll. Der deutsche Rassist verfolgt den Ausländer nicht vorrangig, weil er seine Kultur oder die rassische Durchmischung arischen Blutes fürchtet, sondern weil er ihn als Konkurrenten im Kampf um die im Kapitalismus künstlich verknappten Zugänge zum Wohlstand wahrnimmt.
Dass auf den Events gegen Rechts eine Kritik an rassistischen Normalzuständen (oder gar eine Gesellschaftskritik) unerwünscht ist, zeigte sich am 20. Januar diesen Jahres u.a. in Erfurt auf dem Domplatz, als antirassistische Parolen und Redebeiträge, welche dankenswerter Weise einen prominenten Platz einnehmen konnten, schweigend oder kopfschüttelnd hingenommen werden mussten, der SPD Innenmaier sich in sozialen Medien über Spaltung beklagte. Für Antirassist:innen ein deutliches Zeichen, dass der Ausruf „Wir sind mehr“, auch immer noch eine (unbewusste) Drohung für alle ist, die nicht Teil des definierten „Wir“ sind.
Was uns anschließend dazu bringt, warum Antifaschismus nicht bei der Syptombekämpfung stehen bleiben kann. Denn Rassismus ist, wie auch der Antisemitismus, ein gesellschaftlich notwendiges Verhältnis. Notwendig ist es deshalb, weil es aus der ökonomischen Konstitution der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft entspringt. Auch der moralisierende Fokus auf Rassismus, auf die ermordeten im Mittelmeer als sichtbar grausamste Konsequenz dieser Gesellschaft, externalisiert doch den unzumutbaren Gesamtzusammenhang. Als wäre Antifaschismus gutmütiges Pharisäertum. Niemand hier kann auch nur träumen wirklich frei und selbstbestimmt zu leben. Mittels Rassismus kann sich der Einzelne vor der Einsicht seiner eigenen Überflüssigkeit und Austauschbarkeit in der Gesellschaft schützen, in der man gezwungen ist sich selbst und damit seine Arbeitskraft zu verkaufen um zu überleben. Deren Produktionsordnung den Zweck verfolgt die rastlosen Vermehrung von Tauschwerten zu forcieren. Die eigene Identität der Subjekte konstituiert sich in diesem gesellschaftlichen Widerspruch. Durch Abgrenzung zum Geflüchteten soll die Angst vor der eigenen Niederlage in der kapitalistischen Konkurrenz abgespalten werden. Die Zugehörigkeit zum eigenen Stammesverband, wahlweise zum Volk oder Nation deklariert, liefert zusätzlich einen Halt für die krisenhafte Identität des bürgerlichen Subjektes. Diese Identität ist maßgeblich durch die Abwehr des vermeintlichen Untermenschens, auf welchen man die eigene Niederlage in der kapitalistischen Konkurrenz projiziert, und durch die Abwehr des vermeintlichen Übermenschens als Verkörperung des Abstrakten und Unverstandenen, konstituiert. Wenn diese eigene Identität, verschärft durch globale und lokale Krisen, verteidigt werden soll, dann ist menschenfeindliche Gewalt die die Konsequenz.
Wer also eine nachhaltige Beendigung von Rassismus und Menschenfeindlichkeit anstrebt, muss sich klar sein, dass dies nicht ohne die Abschaffung der herrschenden Produktionsweise zu vollziehen ist. Und das ist nicht nur im Interesse anderer, sondern in unser aller ureigenem. Der erste Schritt muss es daher sein Rassismus und Antisemitismus als Ideologien zu begreifen, welche die herrschenden Verhältnisse repräsentieren und in ihnen reproduziert werden. Sich einer radikalen Kritik der Gesellschaft anzunehmen und zu begreifen das diese Menschenfeindlichkeit mit den Verhältnissen einhergehen und nicht mit Bildung oder Appellen an Menschlichkeit oder Solidarität beizukommen ist.
An Stelle immer wieder eine reine Symptombekämpfung zu verfallen, so sinnvoll punktuelle antifaschistische Interventionen wie die heutige Demonstration auch sind, sollte es Antifaschist:innen darum gehen zu hinterfragen und zu begreifen, warum diese Gesellschaft trotz fortschreitender Katastrophen wie beispielsweise Klimawandel, Krieg und Ausbeutung, nicht ihrer Abschaffung entgegengeht, sondern ihrer permanenten Reproduktion. Um das zu tun bedarf es einer unversöhnlichen Kritik der Gesellschaft, an deren erster Stelle sich ein Begriff von den herrschenden Verhältnissen gemacht werden muss. Und auch das bringt nichts wenn man sich nicht zusammenschließt. Nur das organisierte Nein sprengt die Fesseln, ermöglicht Handlungsfähigkeit und Kollektives Lernen. Denn auch wenn die Zeiten garantiert nicht besser werden und sich die Krisen weiter zuspitzen, so ist zumindest diese Kritik der Gesellschaft eine Möglichkeit die Hoffnung auf ein besseres Morgen aufrechtzuerhalten.
„Je unmöglicher der Kommunismus ist, desto verzweifelter gilt es für ihn einzutreten.“ (Max Horkheimer)