Wie jedes Jahr fährt Erfurts geläuterte Zivilgesellschaft wieder ihr monströses Selbsbeweihräucherungsprogramm zum 8. Mai auf. Unter dem Motto „Gold statt Braun“ beweist man auch dieses Jahr gegenüber den Nazis, selbst viel besser verstanden zu haben, wie Deutschland eigentlich funktioniert. Statt durch offenen Rassismus und Antisemitismus wird – ganz im Gedenken an Auschwitz – die Volkswerdung mithilfe von Vielfalt, Respekt und Toleranz organisiert. Dass da die industrielle Vernichtung von 6 Millionen Jüdinnen:Juden als ein Ausdruck von Diskriminierung daherkommt, rundet das Bild ab.
Antwort auf den Flyer zur Aktionswoche „Gold statt Braun“
Ein Teil des diesjährigen Mottos ist “Was mit Diskriminierung begann, endete in Auschwitz”, ein Satz der den sich aufgeklärt Gebenden die Brücke in die Gegenwart schlagen lässt. Denn daran anschließend wird fortgesetzt: „Diese Diskriminierung nahm für viele auch nach 1945 kein Ende. Auch heute erleben viele gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.”. Die deutsche Gesellschaft zwischen 1933 und 45 war keine ‚diskriminierende‘, sondern fand ihre Identität in der autoritären Revolte gegen die kapitalistische Moderne. Der maßgebende Antisemitismus verfolgte das europäische Judentum, da in ihm die abstrakte, unverstandene und als negativ empfundene Seite der kapitalistischen Vergesellschaftung identifiziert wurde. Erst die Farce von der produktiven Arbeit des Kapitalisten in der Betriebs- und Volksgemeinschaft, d.h. die erfolgreiche Verschleierung des tatsächlichen Ausbeutungsverhältnisses ermöglichte es, die Juden als Lenker von Wirtschaft und Politik herbeizuphantasieren, um sie sodann für Ausbeutung und Elend des Kapitalismus zur Verantwortung zu ziehen. Als “raffende und parasitäre Schicht” zogen sie die Wut, der sich selbst als produktiv und dem allgemeinen Wohlstand dienlich verstehenden Deutschen auf sich. Erst im Projekt der fast vollständigen Vernichtung des europäischen Judentums fanden die Deutschen ihre Einheit und Identität.
Weder handelte es sich beim eleminatorischen Antisemitismus der deutschen Volksgemeinschaft um „Diskriminierung“, noch lässt sich mit heutigen „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeiten“ einfach so eine Kontinuität nachzeichnen. Im Gegenteil, die Autor:innen dieser Aufrufsätze sprechen damit auch indirekt davon, dass sich die Shoa aus dieser „Diskrimierung“ ableite und heute ein Erleben von vielen sei. Das Wesen des Antisemitismus und der deutschen Volksgemeinschaft soll nicht mal ansatzweise verstanden werden. Postnazistische Kontinuitäten im Nachfolgestaat des NS werden nur als ominöse „Diskriminierung“ geframet.
In Auschwitz wurde nicht nur die Hoffnung der Menschheit auf eine Befreiung von der kapitalistischen Ausbeutung begraben, sondern es kamen auch die Deutschen zu sich, zeigten was deutsch ist. Deutsch ist die konformistische Revolte gegen ein bürgerliches Glücksversprechen, deutsch ist die antisemitische Vernichtung um der Vernichtung willen. Es sind die „Produktionsverhältnisse des Todes“ (ISF), die zur Vernichtung schreitende Antwort auf die kapitalistische Dauerkrise. Im Zeichen dieser Liquidierung des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit entwickelte sich die deutsche Gesellschaft zu einem Mordkollektiv. Weder wurde dieses Land nach 1945 zerschlagen, noch umfassend entnazifiziert. Die ideologischen, wie materiellen Nachwirkungen sind im Rechtsnachfolgestaat des Dritten Reichs für alle spürbar, sogar wenn sie ihren Broterwerb in der Ideologieproduktion verorten.
“Schwarz, rot, braun – sind die Farben deiner Fahne” (Toxoplasma)
Mittlerweile ist es deutsche Staatsräson aus dem Nationalsozialismus gelernt zu haben. Die Kampagne „Bunt statt braun“ (o.ä.) ist auf Linie. Dabei sind die „Bunt statt Braunen“, im Jahr 2023 wesentlich deutscher, als es irgendwelche verirrten Neonazis mittlerweile sein können.
Vom deutschen Antisemitismus will man jetzt endlich nichts mehr hören, wo man sich gerade so wohl dabei fühlt, mit den leeren Parolen der neu gefundenen Identität gegen blöde Nazis auf die Straße zu gehen. Dieses Aufweichen der miserablen Zustände in so vage Konzepte wie „Hass und Hetze“ und das Einstehen für „Menschlichkeit“ wird den Flüchtenden an den EU-Außengrenzen nichts nützen, deren massenhaftem Sterben man eigentlich mit den goldenen Lappen, die man überall aufhängt, gedenken möchte. Die gesamte Aktionswoche schafft es trotz oder gerade wegen ihrer lauen „Nazis sind doof“-Parolen nicht, über ihre Funktion als Selbstversicherung und Kitt der Zivilgesellschaft hinwegzutäuschen. Vernünftigere und gehaltvollere Positionen lassen sich halt auch nicht formulieren, wenn das eigentliche Problem an den Nazis ist, dass sie einem den eigenen Kunst- und Kulturbetrieb „beschneiden“ wollen.
Gold statt Braun – wir feiern 30 Jahre Abschaffung des Asylrechts
Folgerichtig versucht man dann auch durch das Aufhängen irgendwelcher Rettungsdeckchen im Wind an dem Moment festzuhalten als man im “Sommer der Migration” eine jahreszeitlang ein Mindestmaß an Empathie zeigte. Natürlich konnte man es sich dabei nicht nehmen lassen, überall darauf aufmerksam zu machen, dass nun endlich – nach 70 Jahren – die Deutschen vor der Weltöffentlichkeit zeigen können, wie gut und geläutert sie aus Auschwitz hervorgehen konnten. Dass das deutsche Grundrecht auf Asyl ursprünglich mal eine Konsequenz aus der nationalsozialistischen Verfolgung war, ist da längst vergessen. Es wurde in dieser Form ja auch direkt abgeschafft, nachdem man gemerkt hat, dass nun wirklich irgendwelche Menschen kommen wollen, die Schutz benötigen. Schlimmstenfalls erdreisten sie sich ja noch sich nicht nur verwerten zu lassen, sondern fordern auch die Möglichkeit eines guten Lebens statt in Schleusingen vor sich hinzuvegetieren. So macht man gute Miene zum bösen Spiel und schlachtet das Gedenken aus, um darüber hinwegzutäuschen, dass man selbst dafür verantwortlich ist (Grüne, SPD) und höchstens Krokodilstränen für die sich verschärfende Brutalität an den Außengrenzen erübrigen kann.
Gipfeln soll diese ganze Woche voller Argumentationstrainings ‚gegen Rechts‘, HipHop-Tanzkursen und Theateraufführungen schließlich am 8. Mai in einem „Fest der Vielfalt, des Respekts und der Toleranz“ mit dessen Hilfe man dann hoffentlich endlich den nervigen Geist von Auschwitz los wird und am Ende als besserer Mensch, pardon Deutsche:r, hervorgeht. Auch dieses Jahr bleibt also eine ernsthafte Auseinandersetzung der Zivilgesellschaft mit den bestehenden Verhältnissen, ihrer alltäglichen Grausamkeit und den postnazistischen Kontinuitäten aus und die allgemeine Verblendung geht weiter. Sich an der eigenen Gutmütigkeit und moralischen Mehrwertigkeit zu berauschen verdrängt jede inhaltliche Auseinandersetzung und (Selbst-)Kritik.
Vor der Behauptung der Deutschen nun durch Erinnerung und Vereinigung geläutert zu sein, hätte sich zumindest auch niemand ans Asylrecht getraut. Besser wäre es also einfach zu schweigen, als sich schamlos an den Erschlagenen zu berauschen, nur weil diese sich nicht mehr wehren können.
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