Auswertung zur Antifa-Demo in Solidarität mit Betroffenen rechter Gewalt

Am 1. August demonstrierten rund 450 Antifaschisten in Erfurt unter dem Motto „Solidarität mit Betroffenen rechter Gewalt – Die Taten beim Namen nennen! Faschistische Angriffe aufdecken und aufklären!“. Im Folgenden wollen wir einen Rückblick geben, einige Defizite der Demonstration reflektieren und einen Überblick über die weitere Berichterstattung geben.

Rassistischer Angriff am Vorabend

In der Nacht von Freitag auf Samstag ereignete sich in Erfurt der zweite schwere Angriff von Neonazis innerhalb der letzten Wochen. Vor den Räumlichkeiten des Neonazivereins „Neue Stärke e.V.“ wurden drei junge Menschen mit Migrationshintergrund von einer Gruppe von 12 Neonazis angegriffen und zusammengeschlagen. Einer der Betroffenen musste schwer verletzt ins Krankenhaus. Sein Zustand war zeitweise kritisch. Im Gegensatz zum Angriff Mitte Juli kommunizierte die Thüringer Polizei, welche alle zwölf Neonazis vorläufig festnehmen konnte, die Hintergründe der Tat gleich in ihrer ersten Pressemitteilung. Doch zu kritisieren ist, dass die Polizei lediglich von einem „fremdenfeindlichen Übergriff“ sprach, welcher aus einer Streitigkeit und einer körperlichen Auseinandersetzung resultierte. Erst in einer zweiten, ergänzenden Pressemitteilung sprach die Polizei davon, dass die drei Betroffenen nach dem passieren des Objektes in der Stielerstraße „sofort verbal und danach tätlich angegriffen“ wurden. Damit widersprach die zweite Pressemeldung der ersten Darstellung.
Dass die Täter allesamt zu Kadern des „Neuen Stärke e.V.“, vormals „Volksgemeinschafts e.V.“ gehören, ist dabei nicht verwunderlich. Mittlerweile befinden sich alle mutmaßlichen Täter wieder auf freiem Fuß. Laut Staatsanwaltschaft bestehen keine Haftgründe. Doch dazu später mehr.

Demonstration durch Erfurt

Der schwere rassistische Übergriff machte nur nochmal mehr deutlich, dass es einen kontinuierlichen öffentlichen Druck auf die Neonaziszene bedarf. Gerade durch die mediale Reichweite der Berichterstattung über den Angriff auf dem Erfurter Herrenberg, mit bundesweiter und zum Teil internationaler Meldung, geriet auch die Demonstration in den Fokus der Öffentlichkeit. Das ist einerseits erfreulich, da zumindest über die Transparente eine gewisse Botschaft weit verbreitet werden konnte. Andererseits schwingt bei dieser Berichterstattung für uns auch immer die Gefahr mit, dass die Demonstration vereinnahmt wird um den angekratzten Ruf der Stadt Erfurt zu retten. Gerade da in Berichten weniger auf die benannten Missstände in der Stadt und im Freistaat benannt werden.
Das für uns wichtige Ziel, ein öffentliches Signal zu senden, dass Betroffene rechter Gewalt nicht alleine sind und sich zumindest Antifaschisten solidarisch zeigen, konnten wir erfolgreich umsetzen. In diversen Redebeiträgen wurde auf die Problematik eingegangen. Einige dokumentieren wir am Ende dieses Textes. Dabei gab es nicht nur den Fokus auf Hotspots rechter Gewalt wie Erfurt-Süd, sondern auch Berichte über Zustände in Städten wie Eisenach und Saalfeld. Ein weiterer Redebeitrag folgte von einer Betroffenen eines homophoben Angriffs auf dem CSD 2019 in Erfurt, während der Redebeitrag der Opferberatung ezra die zum Teil mörderische Kontinuität rechter Gewalt u.a. in Erfurt thematisierte. In weiteren Redebeiträgen wurde auf einige Neonazistrukturen in Erfurt eingegangen, wie z.B. den Jungsturm Erfurt oder auch die Neonazis in Erfurt-Süd. Ein weiterer Redebeitrag der Nebenklage Anwältin Kristin Pietrzyk und des Rechtsanwalts Alexander Hoffmann, welche Betroffene im Verfahren gegen die Täter im Halle-Anschlag, Lübcke-Prozess und Hanau vertreten. Sie stellten die Kontinuität in der öffentlichen Darstellungen rechten Terrors als Taten von „Einzeltätern“ sowie die Kriminalisierung der Betroffenen rechter Gewalt dar. Gerade die Bühne bzw. Botschaft, welche der Täter von Halle im Prozess gegen ihn haben will, sei wichtiger als die Tat selbst. Es gehe eben nicht nur darum die direkten Täter zu benennen, sondern auch ihre Unterstützernetzwerke zu beleuchten und ihre Verbindungen öffentlich zu machen.

Defizite der Demonstration

Wenn auch die mediale Wahrnehmung positiv zu werten ist, müssen wir festhalten, dass gewisse Positionen auf der Demonstration nur unzureichend oder nicht vertreten waren. Denn gerade in Erfurt gibt es nicht nur eine Kontinuität der rechten Gewalt, sondern auch des Versagens der Zivilgesellschaft. Eine umfassende Kritik an der vergangenen städtischen Arbeit, den ‚bunt statt braun‘-Festen und der Einordnung der guten Deutschen gegen ‚die bösen Nazis‘, diverser staatstragender ‚Antifaschisten‘ und ihrer Bündnisarbeit, fand nicht statt. Da jedoch auch gerade diese Kritik eine wichtige Rolle in unserem Verständnis eines Antifaschismus ist, der die bestehenden Verhältnisse überwinden will, müssen wir das als Defizit an einer Antifa-Demo festhalten. Weiterhin fanden sich keine weiteren Positionen zur rassistischen Politik des (Frei-)Staates gegen Geflüchtete sowie die strukturellen Probleme bei der Aufarbeitung von Fällen Polizeigewalt, wie beim Prozess gegen zwei Polizisten mit dem Vorwurf der Vergewaltigung oder die Todesumstände eines jungen algerischen Mannes in einer Polizeizelle in Erfurt.
Dass nicht alle Missstände auf einer solchen Demonstration einen ausreichenden Platz eingeräumt bekommen können und auch die kurze Vorbereitungszeit ihr übriges tat, ist klar. Allerdings gilt es bei weiteren antifaschistische Interventionen nicht nur den Fokus auf die Neonazistrukturen zu legen, wenn auch gleich ihr Wirken und ihre Gewalt eine aktuelle Bedrohung darstellen. In den Fokus der Kritik gehören die objektiven gesellschaftlichen Ursachen, als Nährboden für Rassismus und Antisemitismus. Denn letztlich ist das die Aufgabe ‚der Antifa‘.

Die Notwendigkeit einer solchen Demonstration

Nicht nur die Übergriffe der letzten Woche zeigten auf, welche fatalen Missstände in Erfurt vorherrschen. Die Berichterstattung im Nachgang des rassistischen Angriffs auf dem Erfurter Herrenberg durch Neonazis des „Neuen Stärke e.V.“ zeigte, wie dringend es eine antifaschistische Gegenöffentlichkeit braucht. Denn nach einer Gegenanzeige durch einen der mutmaßlichen Täter ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen die Betroffenen des rassistischen Angriffs. Während in der Presse zum Teil Fake-News weiterverbreitet wurden – denn die TA berichtete die Betroffenen seien wegen Drogenhandel vorbestraft, was sich als falsch herausstellte – stiegen AfD und Neonaziseiten ein und machten Stimmung gegen die Betroffenen, in Solidarität mit den Tätern. Es ist dabei nicht nur ein fatales Zeichen an die Betroffenen. Vor allem zeigt sich hier eine Strategie der extremen Rechten die öffentliche Wahrnehmung zu beeinflussen. Für Neonazis ist es ein beliebtes Mittel, einfach eine Gegenanzeige zu stellen und sich als Opfer darzustellen. Wenn dies in der Öffentlichkeit nicht kritisch hinterfragt wird, gerade durch die Presse, wird diese Täter-Opfer-Umkehr übernommen. Die Neonazis, welche einen Menschen fast tot geprügelt haben, wollen sich so als wehrhafte Deutsche präsentieren, die nur als Reaktion und in Notwehr gehandelt haben. Ihr eigentliches rassistisches Tatmotiv rückt aus dem Fokus, eine mögliche Entsolidarisierung mit den Betroffenen wird vorangetrieben. Dabei gilt es dagegen zu halten. Denn selbst wenn die Betroffenen vorbestraft gewesen wären, selbst wenn sie nach einer rassistischen Beleidigung die erste Schelle verteilt haben, so rechtfertigt das weder die Tat der Neonazis, noch eine Entsolidarisierung. Denn am Ende musste ein Mensch fast sterben, durch die brutale Gewalt einer Neonazigruppe.

Wie weiter?

Um genau so einer Öffentlichkeit entgegenzuwirken bedarf es eine klare und öffentlich getragene Solidarität. Auch bei unserer Demonstration hat sich gezeigt, der Großteil der 400 Teilnehmer waren Antifas, Punks, Linke, Alternative… Von der ach so bunten Zivilgesellschaft in Thüringen war fast nichts zu vernehmen. Doch um gerade hier weiter handlungsfähig zu bleiben, braucht es einen Support und eine weitere Organisierung autonomer antifaschistischer Gruppen.
Das die Neonazigewalt mit der Demonstration kein Ende finden wird, ist allen klar. Doch es ist ein wichtiger Anfang den Druck zu erhöhen. Dieser Druck muss auf vielen Seiten passieren. Er muss die Neonazistrukturen in den Fokus rücken und diejenigen kritisieren, welche aus den Vorfällen politisches Kapital für ihre eigene Agenda ziehen. Wenn Innenminister Georg Maier die Vorfälle nutzt, um mehr Personal für den Verfassungsschutz zu fordern, gilt es dies genau so zu kritisieren, wie die Betroffenheit, über die vermeintliche neue Dimension rechter Gewalt, der Erfurter Zivilgesellschaft.

Wir dokumentieren folgend noch einige Redebeiträge der Demonstration:

Auftakt-Redebeitrag war gleichzeitig der Aufruf, den ihr HIER nachlesen könnt.

Ezra-Redebeitrag zur Demonstration „Solidarität mit Betroffenen rechter Gewalt.
Antifaschismus organisieren und Neonazis bekämpfen!“, Samstag 1.8.20, Erfurt

Von dem brutalen rechten Angriff in der Nacht vom 17. auf den 18. Juli 2020 hier vor der Thüringer Staatskanzlei in Erfurt waren mindestens 20 Menschen betroffen und wurden zum Teil schwer verletzt. Die lokalen Medien wie der MDR sprachen kurz danach von einer „Massenschlägerei“ und „Auseinandersetzung“. Doch tatsächlich handelte es sich um einen gezielten, koordinierten und heimtückischen Angriff auf friedlich feiernde Menschen durch vermutlich kampfsporterfahrene, rechte Gewalttäter. Die Täter waren teilweise vermummt und wussten genau, was sie taten. Sie gingen hemmungslos und mit enormer Brutalität vor. Wenn jemand auf einen bewusstlos am Boden liegenden Menschen eintritt, nimmt er dessen Tod in Kauf.

Gestern Nacht, genau zwei Wochen nach dem Überfall an der Staatskanzlei, wurden
erneut Menschen durch 12 Angreifer*innen schwer verletzt und mussten im
Krankenhaus behandelt werden. Dieser Angriff wurde nicht, wie heute morgen von der
Polizei gemeldet, aus Fremdenfeindlichkeit begangen – denn das Motiv heißt Rassismus!
Als fachspezifische Opferberatungsstelle ezra unterstützen und begleiten wir Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalttaten. In unserer Rolle als Berater*innen können wir natürlich hier nicht auf Details eingehen. Doch wir können die nun geschehenen Angriffe in einen größeren Rahmen einordnen.

Erfurt führt die jährliche Statistik rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalttaten
im Vergleich zu anderen Landkreisen und Städten in Thüringen an. Unsere jährlich
herausgegebene Statistik zu rechten Angriffen zeugt davon, dass die meisten
Betroffenen angegriffen werden, weil die Täter rassistisch motiviert agieren. Diese
Angriffe geschehen im Alltag, vor allem auf der Straße, in der Öffentlichkeit. Oftmals erhalten sie kaum Aufmerksamkeit, weil die Betroffenen wenige
Interessensvertreter*innen haben. Der Überfall vor der Staatskanzlei und der
rassistische Angriff der letzten Nacht sind kein Einzelfälle, sondern Teil einer Vielzahl rechter und rassistischer Übergriffe, die in Erfurt stattfanden und stattfinden und bisher nur ungenügend aufgeklärt wurden: Neben den durch mutmaßliche Nazis verübten
Morden an Heinz Mädel und Hartmut Balzke in den 90er und frühen 2000er Jahren sind
• die Angriffe auf den AfD-Demonstrationen in den Jahren ab 2015
• die Überfälle auf das AJZ 2016 und 2017
• ein gewalttätiger Angriff durch eine Gruppe von mindestens 15
vermummten Neonazis auf Geflüchtete und politische Gegner*innen an
der Krämerbrücke 2018

sowie die zahlreichen Bedrohungen und Übergriffe durch die Nazis am Herrenberg als
Beispiele einer Kontinuität zu nennen, die seit Jahren Alltag und Realität für viele Menschen in Erfurt ist.

Als Beratungsstelle wissen wir, wie wichtig es ist, dass Menschen sich mit Betroffenen solidarisieren. Dass sie ihnen signalisieren, nicht allein zu sein, mit dem was sie erfahren mussten. Die Spezifik rechter Gewalttaten ist, dass Betroffene nicht als individuelle Personen von den Täter*innen ausgewählt werden. Sie werden von diesen einer Gruppe zugeschrieben, die sie ablehnen und gegen die sie beispielsweise mit tätlichen Angriffen vorgehen. Diese Taten sind eine Botschaft an alle Menschen, die sich dieser Gruppe zugehörig und verbunden fühlen.In diesem Kontext findet die Demonstration heute statt. Das begrüßen und unterstützen wir. Es braucht den öffentlichen Druck auf die Strafverfolgungsbehörden, die sich auch nach dieser Nacht im Juli eingeschaltet haben. Auch wenn es eigentlich eine
Selbstverständlichkeit sein sollte: Neonazis und Rassist*innen müssen für solche
Gewalttaten vom Staat verurteilt werden. Neben der Sanktionierung für den einzelnen
Täter bedeutet dies auch ein Signal an dessen Szene: Die Gesellschaft ächtet rechte
Gewalt. — So die Theorie, dass sich dies in der Realität anders darstellt, ist vielfach belegt und kennen wir aus unserer Beratungspraxis ebenfalls.

Im Mittelpunkt der Strafverfahren stehen derzeit nicht die Bedürfnisse der Betroffenen.
Im Gegenteil: Diese sehen sich oftmals bei polizeilichen oder gerichtlichen
Vernehmungen rassistischen Fragen ausgesetzt, die Folgen der Angriffe werden
bagatellisiert, die Täter*innen erhalten durch Einsicht in die Akten die Adressen der Verletzten und Zeug*innen. Nicht selten erfolgt eine Täter-Opfer-Umkehr durch
Ermittlungsbehörden und man gibt ihnen beispielweise eine Mitverantwortung daran,
angegriffen worden zu sein, weil sie einen “Gegen Nazis” Button trugen. Wir dürfen die Betroffenen damit nicht allein lassen. Daher ist es wichtig, sie zu unterstützen, zu begleiten und immer wieder zu zeigen: Wir vergessen diese Angriffe nicht, wir verurteilen rechte Gewalt, wir sind an eurer Seite und erinnern die Öffentlichkeit kontinuierlich daran, wie präsent rechte, rassistische und antisemitische Gewalt in unserer Gesellschaft ist.

Der brutale Neonazi-Überfall auf die Kirmesgesellschaft in Ballstädt im Landkreis Gotha im Februar 2014 vergegenwärtigt derzeit viele der möglichen Probleme: Sechseinhalb Jahre nach der Tat warten die Betroffenen noch immer auf Gerechtigkeit, denn bis heute ist keine*r der Täter*innen rechtskräftig verurteilt. Schuld ist das Landgericht Erfurt, weil es es nicht geschafft hat, ein schriftliches Urteil zu verfassen, welches den formalen Ansprüchen gerecht wird. Die Bewältigung der eigentlichen Tat kann keinen Abschluss
finden. Stattdessen müssen die Betroffenen wahrscheinlich als Zeug*innen vor Gericht erneut aussagen. Das bedeutet, die Tat vor den Angeklagten wieder zu durchleben. Das stellt eine zusätzliche, enorme Belastung für die Betroffenen dar. Währendessen hatte der brutale, gezielte Angriff für die angeklagten Neonazis bis heute keine Konsequenzen. Das Signal an die Täter*innen und die organisierte Neonazi-Szene ist fatal.

Als Beratungsstelle stehen wir parteilich an der Seite der Betroffenen. Wir arbeiten unabhängig von staatlichen Behörden und bewahren uns eine kritische Distanz zu diesen. Nur so ist es möglich, die Perspektive von Betroffenen ernst zu nehmen und die Öffentlichkeit und Gesellschaft insgesamt für ihre Belange zu sensibilisieren.

Einige Betroffene des Überfalls an der Staatskanzlei haben in sozialen Medien schnell daraufhin gewiesen, dass es sich nicht um eine “Auseinandersetzung” handelte, sondern um einen brutalen, gezielten und überraschenden Angriff durch Neonazis. Diese Perspektive nehmen wir ernst und alle, die diese Art der Gewalt kennen – ob direkt oder indirekt betroffen – verstehen, um was es heute geht – die Problematisierung der andauernden Kontinuität rechter Gewalttaten! Deswegen darf diese Demonstration nicht das Ende sein – seid solidarisch und hört Betroffenen zu – nicht nur heute, sondern immer und immer wieder.

Rassismus, Antisemitismus und rechte Gewalt verletzen Menschen und begleiten sie
nach den Taten sehr lang. Andere sterben. Am Montag jährt sich der Tod von Ireneusz Szyderski zum 28. Mal. Der junge Mann kam zum Arbeiten nach Thüringen und starb in Folge eines Angriffs durch rechte Securities am Rande einer Diskoveranstaltung in Erfurt-Stotternheim am 2. August 1992. Die Justiz verurteilte nur drei der beteiligten Täter und erkannte kein politisches Motiv.

Die Angriffe der letzten Wochen zeigen einmal mehr, wie wichtig es ist zu handeln.
Daher unterstützen wir, die Forderung der Demonstration aus der Perspektive vieler
Betroffener heraus und werden auch nicht müde, diese zu wiederholen: Rechte
Gewalttaten müssen als solche benannt werden! Solidarität mit Betroffenen rechter,
rassistischer und antisemitischer Gewalt – hier in Erfurt, in Thüringen und überall!

 

Redebeitrag zum homophoben Angriff gegen Teilnehmer des CSD-Marsch 2019

Liebe Antifaschist*innen,

im vergangenen Jahr wurde der CSD-Aufmarsch in Erfurt überschattet von einem rechten Angriff. Ein Junggesellenabschied fühlte sich von der Sichtbarkeit queeren Lebens und den auf der Demo gerufenen antinationalen Parolen derart provoziert, dass sie zwei Personen, inklusive mir, ins Gesicht schlugen, und einige andere Menschen homofeindlich beleidigten, schubsten und mit Glasflaschen bedrohten. Gleichzeitig hetzte die Nazipartei Der III. Weg wie schon in den Jahren zuvor auf dem Anger gegen die Zitat „Homopropaganda“.
Das zeigt exemplarisch, wie aus menschenfeindlichen Worten menschenfeindliche Taten werden.

In meinem Fall wurde der Angreifer wegen Körperverletzung verurteilt. Das Gericht stellte in der mündlichen Urteilsbegründung fest, dass ich als Repräsentantin des CSD zum Zufallsopfer geworden bin, ohne allerdings die explizit homofeindliche Motivation des Täters zu benennen. Damit hat der Richter den rechten Hintergrund des Geschehens verkannt.

Uns muss klar sein: Ein rechter Angriff ist nicht erst ein rechter Angriff, wenn ein deutsches Gericht das festgestellt hat. Dennoch ist es als Signal an die Betroffenen und die Öffentlichkeit wichtig, die ideologische Motivation hinter der Gewalt herauszuarbeiten.
Zum einen wird so dem Bild entgegengetreten, dass die Betroffenen auch irgendwie eine Mitschuld an dem Angriff trügen, wie es die mediale Berichterstattung zum Überfall an der Staatskanzlei suggerierte, als verharmlosend von einer „Schlägerei“ geschrieben wurde.
Zum anderen verdeutlicht eine explizite Benennung, dass Faschist*innen Menschen eben nicht wegen ihres Handelns, sondern aufgrund ihrer puren Existenz angreifen. Deswegen kann mit Nazis auch kein Frieden geschlossen werden – sie bedrohen, schlagen und töten, weil sie in letzter Konsequenz vernichten wollen, was ihnen als unwert gilt.

Daher müssen wir uns mit den Opfern rechter Gewalt solidarisieren und dem faschistischen Treiben Einhalt gebieten – getreu dem Motto der heutigen Demo: Solidarität mit den Opfern rechter Gewalt – die Taten beim Namen nennen! Faschistische Angriffe aufdecken und aufklären!

Vielen Dank.

 

Redebeitrag von Dissens zu Neonazistrukturen in Erfurt-Süd

Die rechte Szenekneipe „Kammwegklause“, die Räume des „Volksgemeinschafts e.V.“, Neonazis im Ortsteilrat, Propagandaaktionen, Neonazikonzerte und eine Kultur der Übergriffe und Gewalt gegen Geflüchtete und Linke. All dies findet sich auf dem Erfurter Herrenberg vereint. Ein Viertel in Erfurt-Süd, in dem sich Neonazis wohlfühlen und ihre Strukturen aufbauen können.
Die städtische Jugendarbeit auf dem Herrenberg war über viele Jahre tot. Der ehemalige Jugendclub „Urne“ machte seinem Namen alle Ehre und spiegelte wieder, was der abghängte Erfurter Süden an Unterstützung erwarten konnte, wenn es um Investitionen in die Infrastruktur ging. Genau diese Situation machten sich Neonazis vor einigen Jahren zu Nutzen. In kurzer Distanz lagen gleich zwei Lokalitäten in denen die Erfurter Naziszene schalten und walten kann. Am 01.11.2014 eröffnete Gabriele Völker in der Tungerstraße 1 die „Kammwegklause“. Eine alte Kneipe mit der Außengestaltung in schwarz-weiß-rot. Seitdem bot die Trinkhalle einen geeigneten Anlaufpunkt für Neonazi aller couleur, sei es zum Konzert der Neonazi-Hooligans von „Kategorie C“ oder zum kameradschaftlichen Abend. Erfreulicherweise musste die Kneipe in diesem Jahr schließen.

Ein knappes Jahr nach der Eröffnung der „Kammwegklause“ mieteten Neonazis vom „Volksgemeinschafts e.V.“ eine alte Markthalle in der Stielerstraße 1. Seitdem gilt es als „nationales Zentrum“ und ihre Aktiven versuchen sich in der Stadtteilarbeit. Erst unter Flagge der NPD, dann „Die Rechte“, „Der Dritte Weg“ und jetzt unter neuem Vereinsnamen „Neue Stärke e.V.“. Die Kader in der Stielerstraße 1 versuchen mittels Sport-, Bar- und Partyangeboten junge Menschen im Viertel an sich zu binden. Sie schaffen damit nicht nur einen Rekrutierungsort, sondern auch einen Ort zum Vernetzen und Organisieren der bundesweiten Neonaziszene. Diverse Parteitage oder auch Konzertveranstaltungen von Neonazigruppen fanden in den Räumlichkeiten der Stielerstraße statt. Von dort aus organisieren die Neonazis auch immer wieder Aktionen in Erfurt, sei es im Wahlkampf oder als Teil von Mobi-Aktionen im bundesweiten Kontext.

Auf dem Herrenberg werden die Neonazis tätig, welche sich in der Stielerstraße unter Anleitung von gewaltbereiten Neonazis wie Enrico Bicysko und Michael Fischer für den Straßenkampf rüsten und trainieren. Angriffe auf Geflüchtete, Menschen mit Migrationshintergrund oder Menschen, denen eine andere politische Ansicht zugeordnet wird, sind hier keine Seltenheit. Im Gegenteil, es erreichten uns immer wieder vereinzelte Berichte von zum Teil schweren, gewalttätigen Übergriffen. Nicht zuletzt auf das Stadtteilzentrum, welches immer wieder Ziel für Drohungen und Sachbeschädigungen durch die Neonazis wurde. Bereits vor einigen Jahren berichtete die antirassistische Kampagne „Break Isolation“ von Übergriffen und Einschüchterungsversuchen gegenüber jugendlichen Geflüchteten und einen Sozialarbeiter, welcher sich antirassistisch engagierte. Bis auf einige wenige Antifaschisten reagierte im weltoffenen und bunten Erfurt niemand auf die Berichte über rechte Gewalt und die Täter-Opfer-Umkehr von Akteuren, wie dem damaligen Arbeitgeber des Sozialarbeiters, dem „Perspektiv e.V.“. Denn dieser wollte dem Sozialarbeiter kündigen. Vom braunen Sumpf auf dem Herrenberg wollte man nur sprechen, wenn bundesweite Medien auf die Entwicklungen aufmerksam machten. Ein paar halb tot geschlagene Ausländer und Zecken haben weder Stadt noch den Bürgermeister Bausewein persönlich je groß interessiert.

Vermutlich nach einem Zerwüfnis mit der Partei „Der Dritte Weg“ kochen Fischi, Rico und Co. wieder ihr eigenes Süppchen. Doch wohl nicht mehr lange. Das Mietverhältnis endet im Sommer, nach einer Gerichtsverhandlung wurde ein Urteil gesprochen, was besagt, dass die Nazis am 30.08.2020 die Räumlichkeiten zu verlassen haben. Unter dem neuen Verein „Neue Stärke e.V.“ wird aber weiterhin zu Clubhausabenden als Privatfeiern eingeladen und Kampfsporttraining angeboten. Während sich die Nazis also nach außen hin unberührt geben, suchen sie bereits in sozialen Netzwerken nach Ausweichobjekten.

Doch es ist eine Illusion, wenn man glaubt, das Naziproblem auf dem Erfurter Herrenberg löst sich, wenn ihre Räumlichkeiten endlich zu einem Altersheim umfunktioniert worden sind. Es ist viel mehr ein dauerhaftes Problem, was sich in den letzten fünf bis sechs Jahren kontinuierlich und mit Unterstützung der vorhandenen Lokalitäten aufbauen lies. Der Verlust der Immobilie ist ein wichtiger Schritt, weitere antifaschistische Interventionen müssen folgen.

Redebeitrag der Antifaschistischen Linke Eisenach

Zunächst einmal möchten wir unsere volle Solidarität an die Opfer des Überfalls vor der Staatskanzlei aussprechen.

Jeder Mensch, der in ostdeutschen Provinzen antifaschistisch sozialisiert ist, weiß wie es sich anfühlt von Rechtsextremen bedroht, verfolgt, angegriffen oder überfallen zu werden.

In Eisenach konnte sich in den letzten Jahren ein bundesweiter Neonazihotspot etablieren, nicht zuletzt weil die Zivilgesellschaft mit Gleichgültigkeit reagiert und die Neonazis legitimiert. Kontinuierliche rechte Übergriffe sind ein klares Indiz dafür.

Neonazis prägen das Stadtbild durch Aufkleber und Graffiti. Die Stadtverwaltung scheint dafür nur wenig Interesse aufzubringen, weshalb Keltenkreuze und “Nazikiez” Schmierereien jahrelang an Häuserwänden stehenbleiben.

Seit 2014 existiert die Landeszentrale der NPD, das “Flieder Volkshaus”. Sie ist die Anlaufstelle für Neonazis, weil dort regelmäßige Veranstalgungen stattfinden. Beispielsweise gastierten Bands wie “Kategorie C”, “Sturmwehr”, “Die Lunikoff Verschwörung” oder “Oidoxie”.

Neben der NPD, die übrigens mit 4 Stimmen im Stadtrat sitzt, existieren noch weitere Strukturen, die vor allem subkulturelle Angebote dominieren. Die Mitglieder der örtlichen Kampfsportgruppe Knockout 51/Nationaler Aufbau Eisenach trainieren in den Räumlichkeiten vom Flieder Volkshaus. Aber nicht nur dort sind sie präsent, sie trainieren auch in anderen lokalen Kampfsportvereinen und sind so bestens vernetzt.

Mitglieder der Erfurter Hooligangruppierung “Jungsturm” sind außerdem führende Köpfe vom Nationalen Aufbau Eisenach. Durch fehlende Infrastruktur für junge Menschen können sie ganz bequem Nachwuchs rekrutieren. Ein Mitglied der Gruppierung, Kevin Noeske, nahm vor 2 Wochen am Zeltlager in der Nähe von Ilmenau teil, welches von der “Jungen Revolution” organisiert wurde.

Seit Jahren warnen wir vor einem Erstarken junger Neonazis in Eisenach. Interventionen durch Justiz oder Polizei gab es bisher kaum. Die Thüringer Polizei verkündete 2017, dass Eisenach kein Angstraum darstellen würde. Nur noch mal zur Erinnerung: 2017 und 2018 hatten die rassistischen und rechtsmotivierten Angriffe in Eisenach Hochkonjunktur. Es verging kein Wochenende ohne einen Vorfall mit Beteiligung von Rechtsextremisten. In diesem Zeitraum griffen Kevin Noeske und 5 weitere Neonazis unvermummt Antifaschist:innen in einem Imbiss an. Das Vorgehen der Angreifer zeigt, wie selbstbewusst sie agieren können, sie haben keine Angst vor Repressionen.

Wir dürfen uns nicht auf die Hilfe von Staatsapparat oder Polizei verlassen, sie sind lediglich Teil des Problems, nicht aber der Lösung.

Unsere Aufgabe besteht darin Nazistrukturen offenzulegen, zu sabotieren und anzugreifen – Auf allen Ebenen, mit allen Mitteln. In diesem Sinne, Antifa in die Offensive!

Redebeitrag von Dissens zu Neonazi-Hooliganstrukturen in Erfurt

Im April diesen Jahres fand eine groß angelegte Razzia gegen die rechte Hooligan-Gruppierung “Jungsturm” statt. Grund für die Hausdurchsuchungen waren seit September 2018 laufende Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Gera wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Das Verfahren lief gegen neun Beschuldigte, von denen die Neonazis Theo Weiland, Steve Weinhold und Marco Klingner von der Polizei verhaftet und kamen in Untersuchungshaft. Die rechte Hooligangruppe, zu deren erweiterten Umfeld rund drei Dutzend Personen zählen, ist seit 2014 existent und taucht mit einem eigenen Banner im Stadion des FC Rot-Weiß-Erfurt auf. Mitglieder der Gruppe rekrutieren sich aus Neonazis aus ganz Thüringen.

Es ist nicht verwunderlich, dass ausgerechnet der Saalfelder Neonazi Felix Reck ebenfalls Teil dieser Gruppierung wurde. Felix Reck ist in Saalfeld für zahlreiche gewalttätige Übergriffe auf Antifaschisten und Nicht-Rechte Jugendliche bekannt. Immer wieder bedrohte er diese, schüchterte sie ein, versuchte sie auf dem Heimweg abzupassen oder schlug sie gleich brutal nieder. Schließlich fand Reck seinen Weg zur Erfurter Hooligangruppe „Jungsturm Erfurt“ bei der seine Gewaltaffinität verstärkt ausleben konnte.

Was bei den aktuellen Ermittlungen gegen die Hooligangruppe auffällt, ist eine Entpolitisierung seitens der Polizei und Justiz. Während beim vor kurzem verhandelten Prozess gegen Felix Reck politische Taten neben den Taten im Fußballkontext standen, spielt es bei der Strukturermittlung kaum eine Rolle, welchen Hintergrund die Täter haben.
Dabei sind die Verbindungen offensichtlich. Einige Personalien des Jungsturm Erfurt wurden bereits genannt. Weitere Beispiele für aktive Neonazis in ihren Reihen lassen sich zu Hauf finden: Der Erfurter Phillip Mittelstedt ist nicht nur aktiver Teil des Jungsturms und bestens international vernetzt, sondern auch in der Vergangenheit durch rechte Gewalttaten aufgefallen. So beteiligte sich Mittelstedt, gemeinsam mit anderen organisierten Neonazis, im Juli 2012 an dem Überfall auf eine Veranstaltung im Kunsthaus in Erfurt. Weitere Mitglieder der Hooligangruppe überfielen mit rund 200 weiteren Neonazis im Januar 2016 den Leipziger Stadtteil Connewitz. Dabei wurden mehrere Menschen angegriffen und zahlreiche Autos und Geschäfte zerstört.
Weiterhin versuchten sie in der Vergangenheit antifaschistische Proteste in Erfurt anzugreifen.
Die Gruppe unterhält sehr gute Kontakte unter anderem nach Eisenach zur dortigen Neonaziszene um die Gruppe „Knockout51“. Es ist daher nicht verwunderlich, dass im Sommer 2018, als Robin Brandt vom Erfurter Jungsturm beim Nazikampfsporttunier „Tiwaz“ in Zwickau kämpfte, auch Eisenacher Neonazis zum Support antraten.
Doch nicht nur in Thüringen und Deutschland hegt man gute Kontakte in die Neonaziszene, sondern auch international. Mittlerweile hat Jungsturm eine Freundschaft mit den „Animals Sofia“, einer bulgarischen Hooligan-Gruppe. Diese ist nicht nur für ihren offenen Bezug zum Nationalsozialismus bekannt, sondern auch durch ihre Verstrickung in internationale Netzwerke von Blood&Honour und ihrem bewaffneten Arm Combat 18.

Es ist zwar für viele Betroffenen erfreulich, die von Mitgliedern des Jungsturm bedroht wurden, dass einige in Haft sitzen. Allerdings verwundert der entpolitisierte Umgang der Ermittlungsbehörden und ihre öffentliche Kommunikation. Denn dass es sich bei den Verhafteten nicht um unpolitische Kampfsportler handelt, die sich ab und an mit Gleichgesinnten auf dem Acker treffen, arbeitete antifaschistische Recherche heraus. Auch dass die Immobilie in Kirchheim, ein seit Jahren von Neonazis betriebenes und für diverse Veranstaltungen genutztes Zentrum, als Trainingsort herhält, wurde bisher nicht öffentlich thematisiert.
Dabei muss klar sein, dass sich im Jungsturm Erfurt seit nunmehr über sechs Jahren Neonazis sammeln, vernetzen, Kampfsport trainieren und sich weiter professionalisieren. Wenn die Ermittlungsbehörden rechte Hintergründe verschweigen, liegt es einmal mehr an Antifaschistinnen und Antifaschisten diese zu benennen und aufzudecken.

Deutsche und internationale Presse, zum Neonaziangriff und zu Teil mit Bezug auf Antifa-Demo:
T-Online
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Kurier
Soester Anzeiger
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International:
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AD (Niederlande)
Arti 49 (türkisch)
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DW (Großbritannien)